Am Puls von Microsoft

Kommentar: Microsoft, wach endlich auf!

Sicherlich dürfte es kaum einen überraschen, wenn ich Windows und Windows 10 im Speziellen als mein absolutes Lieblings-Betriebssystem bezeichne. Seitdem Microsoft im Juli 2015 die erste Version 1507 von Windows 10 für das einjährige Gratis-Upgrade freigegeben hat, wurde das Urgestein durch die folgenden Updates 1511 und 1607 nochmals deutlich verbessert und verfeinert. Auch an anderen Stellen hat das Unternehmen aus Redmond mit der Zeit Fortschritte gemacht. Ein gutes Beispiel ist Visual Studio Code, immerhin genießt der Codeeditor von Microsoft gerade in der Entwicklergemeinde mittlerweile auch ein hohes Ansehen.

Wenn in wenigen Wochen das Creators Update vor der Tür steht und wir auf der Build Conference im Mai für Redstone 3 auch neue Ideen in Themen wie Design und UWP erwarten dürfen, nehme ich mir bei solchen Anlässen auch gerne mal die Zeit und bewerte für mich neu, wie sich die Strategie eines Projekts, in dem Fall von Microsoft, bisher entwickelt hat. Während Microsoft sich in diversen Bereichen auch durchaus gut geschlagen hat, muss ich den Redmondern in vielen anderen Bereichen leider doch strategische Mängel attestieren.

Gefangen im digitalen Protektionismus
Zugegeben, der Begriff Protektionismus ist in diesem Fall etwas deftig und trifft in dieser Hinsicht auch nur bedingt ins Schwarze, aber in abgewandelter Form beschreibt er etwas, was das Unternehmen bis heute begleitet. Microsoft ist auf vielfache Weise ein Konzern der Insellösungen. In der Regel betrachten wir dabei eine geostrategische Ansicht, wenn sich Microsoft trotz seiner Rolle als global agierendes Software- und Technologieunternehmen gedanklich immer noch zu sehr auf seinen Kernmarkt Nordamerika konzentriert. Bing als Microsofts Suchmaschine entwickelt sich hier bekanntlich immer mehr zum Klassiker, hinkt die deutsche Version ihrer US-amerikanischen Schwester in Puncto Features doch meilenweit hinterher.

Der Blick auf die unterschiedlichen Ökosysteme ist hierbei aber deutlich interessanter. Während die großen Medien bei ihrer Berichterstattung immer Windows 10 Mobile ins Zentrum rücken, werden auf der heimischen Plattform die Versäumnisse bei Cortana und Microsoft Edge besonders deutlich. Edge mag mittlerweile ein solider Browser im Alltag sein, aber neben fehlenden Grundfeatures wie einer ordentlichen Lesezeichenverwaltung hat er vor allem das Problem, dass er nur auf Windows und dort nur auf Windows 10 verfügbar ist. Selbst gegenüber Safari, der zumindest über Apples gesamtes Ökosystem verfügbar ist, ist diese Einschränkung massiv und besonders in Microsofts Lage einfach unangemessen.

Nicht nur im Zusammenhang mit Microsoft Edge trifft Cortana dieser Punkt noch härter. Während Microsoft die iOS- und Android-Versionen bis heute nicht auf den deutschsprachigen Markt gebracht oder gar marktreif bekommen hat, macht ausgerechnet Google ab dieser Woche ernst und bringt den Google Assistant nach und nach auf alle Smartphones ab Android 6.0 und mit Zugang zu den Google Play Services, auch nach Deutschland. Gleichzeitig bröckelt auch eine andere Paradedisziplin von Cortana, das smarte Browsen im Zusammenspiel mit Microsoft Edge, langsam vor sich hin. Mozilla arbeitet für Firefox beispielsweise schon seit längerem am Context Graph. Das wird noch in diesem Jahr dazu führen, dass Mozilla mit Firefox 56 im Spätsommer den neuen Activity Stream scharf schalten wird und hierfür unter anderem mit dem deutschen Unternehmen Cliqz kooperiert und gleichzeitig vor zwei Tagen den US-amerikanischen Dienst Pocket übernommen hat. Auch wenn Google noch nichts angekündigt hat, würde es mich sehr wundern, wenn es der Google Assistant nicht auf absehbare Zeit auch in Google Chrome sowie Googles zentrale Webdienste schafft. Wenn Microsoft es mit seinen Ambitionen rund um die Bots und digitalen Assistenten also wirklich ernst meint, sollten sie bei Cortana so langsam mal auf die Tube drücken.

Webservices und -technologien
Für Microsoft wird die freie Webplattform immer wichtiger. Das merkt man in geringerem Maße bei den klassischen Desktopanwendungen, wo Visual Studio Code, Microsoft Teams und der neue Skype-Client für Linux allesamt auf dem Electron-Framework aufbauen, aber man sieht es vor allem bei den Webservices. OneDrive, Outlook.com, Bing, Office Online, Channel 9, Beam, Docs.com oder demnächst Remix 3D… die Zahl der Webservices hat alleine im Consumerbereich zuletzt eine stattliche Größe erreicht. Aber auch im Businesssektor setzte Microsoft zuletzt immer stärker auf Webservices.

Ab und an darf man bei Microsoft aber auch die Frage stellen, ob sie die Arbeit mit ihren Webservices gerade beim Consumer nicht zu halbherzig angehen. Das klassische Beispiel war ja lange Zeit das neue Outlook.com, was sich ja immer wieder um Monate verzögert und bisweilen auch die Synchronisation der Kalender stark behindert hatte. Aber auch bei einem Dienst wie Docs.com darf man dessen Sinn in Zeiten, wo OneDrive allgegenwärtig ist und wahrscheinlich deutlich praktischere Funktionen und Möglichkeiten bietet, hinterfragen. Hinzu kommt dann noch ein Dienst wie Beam, der für den Consumer eine besonders pikante Rolle spielt. Twitch ist eine Übermacht, gegen die es Konkurrenten wie Hitbox oder gar YouTube Gaming extrem schwer haben und die von Amazon mit Services wie Twitch Prime oder dem neuen Shopping-Feature in den vergangenen Monaten stark ausgebaut wurde. Microsoft hat zwar Xbox Play Anywhere, aber inwieweit Beam mit der Xbox und Windows 10 im Rücken tatsächlich eine Chance gegen Twitch hat, muss Redmond wirklich noch beweisen.

Ein Store, der seinen Namen nicht verdient
Ganz nebenbei würde eine stärkere Einbindung der freien Webplattform auch ein Problem lösen, was Windows schon seit Windows 8 mit sich herumschleppt. Es ist kein Geheimnis, dass es die Modern UI-Apps zur damaligen Zeit schwer hatten, neben ihren großen Brüdern, den klassischen Win32-Apps, die breite Akzeptanz zu finden. Die neuen Universal Apps haben das in Teilen besser gemacht, sind gegenüber den Win32-Apps aber immer noch sehr limitiert und machen nur in einem sehr begrenzten Einsatzradius auch wirklich Sinn. Mittlerweile ist die freie Webplattform so weit, dass sie die Universal Apps, mit denen Microsoft wie einst beim Internet Explorer eigentlich nur wieder ein sehr eigenes Süppchen kocht, schnell und besser ersetzen kann. Die Konzepte, die dabei zum Einsatz kämen, sind dabei aber gar nicht so neu, wie es eigentlich scheint.

Unternehmen wie Google und Mozilla bemühen sich schon lange darum, zwischen dem klassischen Desktop und dem Web einen Übergang zu schaffen, der sich natürlich anfühlt und sich am Ende fließend in den eigenen Workflow integriert. Während Mozilla seine Arbeit im Rahmen von WebRT aber zurückgeschraubt hat, sind die Ambitionen von Google dort mit neuen Konzepten wie den Progressive Web Apps und den Accelerated Mobile Pages ungebrochen. Wie gut das unter anderem funktionieren kann, zeigte Paul Thurrott vor einiger Zeit bei einem Artikel über Google Chrome.

Doch am Ende bleibt der Windows Store das eigentliche Problem von Windows 10. Man kann sicherlich von Apple und Valve halten, was man möchte, aber eine Sache haben beide deutlich besser gelöst als Microsoft. Wenn ich mich durch den jeweiligen AppStore oder durch Steam bewege, bekomme ich nicht nur in der Regel richtige Vollversionen der Software, die ich haben möchte, sondern der jeweilige Store kommt auch gut aufbereitet und übersichtlich daher. Microsoft kam dagegen wohl eher mit einer Armada von Kipplastern vorgefahren und hat, egal was geladen war, erstmal alles in aller Ruhe in den Hafen gekippt. Der Windows Store wirkt jedenfalls unübersichtlich und ist in seiner jetzigen Form auch nach dem Creators Update für mich in keinster Weise konkurrenzfähig.

Ein Ökosystem in Trümmern?
Auch wenn sich das jetzt alles ziemlich harsch und niederschmetternd anhört, wenn man sich das durchliest, sollte man nicht denken, dass ich Microsoft in irgendeiner Weise feindlich gesonnen bin. Für mich ist das Unternehmen aus Redmond immer noch der wichtigste Verbündete und das kommende Creators Update bringt auch wieder die eine oder andere Kleinigkeit mit, auf die ich mich jetzt schon sehr freue. Tatsache ist für mich aber auch, dass sich einzelne Ideen von Windows 10 nicht bewährt haben und überdacht werden sollten. Zum Teil ist das hausgemacht wie bei Windows 10 Mobile, zum Teil sehe ich aber auch Punkte, wo Microsoft aktuell wieder konsequent am eigentlichen Markttrend vorbei entwickelt und wo ich mich schon wieder leise in Zeiten wie mit den früheren Versionen des Internet Explorers zurückversetzt fühle, wo Microsoft sein eigenes Ding durchgezogen und sich nicht wirklich konsequent an herrschende Webstandards gehalten hat.

Dieser Artikel wurde außerdem ganz bewusst als Kommentar geschrieben und spiegelt in der Hinsicht meine subjektiven Gedankengänge, die ich aktuell habe (auch inspiriert von einem Artikel im GWB), wider. Momentan treibt mich da vor allem die Frage um, an welchen Stellen die Universal Apps für mich überhaupt noch Sinn machen (und ja, diese Punkte gibt es) und an welchen ich wieder konsequent zur freien Webplattform zurückkehren soll. In der Summe muss ich für mich persönlich aber feststellen, dass für meine Arbeitsweise die meisten Universal Apps eher hinderlich als förderlich sind. Sie sind langsamer (nicht im Sinne von Performance, sondern weil sie für mich direkte, schnelle Arbeitswege behindern und umständlichere Lösungen anbieten, als wenn ich in den Browser gehe) und sie sind vor allem in den meisten Fällen, sehe ich von Streaming und Social Media/Messaging einmal ab, mit der freien Webplattform oder den klassischen Win32-Apps einfach nicht auf Augenhöhe.

Was es irgendwo auch besonders bitter macht, ist, dass Microsoft den Windows Store eigentlich mit relativ wenigen Änderungen am Konzept schon deutlich attraktiver machen könnte. Das strukturelle Problem, dass Microsoft einfach mal Win32- und Universal Apps mit den Erweiterungen für Microsoft Edge in eine Oberkategorie schmeißt, spreche ich hier ja nicht zum ersten Mal an. Gleichzeitig werden aber auch sinnvolle Kategorien ausgelassen, mit denen Microsoft den Store sofort attraktiver machen und die Monetarisierung verbessern könnte. Einfaches Beispiel: Warum kann ich mir direkt bei Steam in der Hardwaresektion den Steam Link oder Steam Controller von Valve kaufen und Microsoft schafft es bis heute nicht, mir den Kauf z.B. der Xbox One S über den Windows Store zu ermöglichen? Das ist wirklich nur ein Beispiel, was ich hier anbringen könnte, aber wichtig ist hier vor allem ein Punkt: Wenn Microsoft den Windows Store wirklich zu einem Erfolg machen möchte, müssen sie ihn für mich grundlegend umdenken. Das bedeutet für mich nicht nur eine bessere Struktur, sondern auch ein besseres Angebot inklusive den richtigen Desktopanwendungen wie dem vollwertigen Microsoft Office (ja, das kommt, ich weiss…) und nicht Office Mobile. Die Leute in Redmond sollten schließlich mit gutem Beispiel vorangehen, wenn sie von ihren Partner etwas möchten.

Eine kleine Wunschliste
Meine großen Wünsche sollten also klar sein: Priorisierung von Web und Win32 gegenüber den Universal Apps, generell bessere Anbindung des Webs an Windows 10, ein deutlich besserer Store und die Abkehr von den Insellösungen, indem Webservices wie Bing global auf das gleiche Featurelevel gehoben und Schlüsselanwendungen wie Microsoft Edge auch auf den anderen Plattformen verfügbar gemacht werden. Daneben gibt es aber noch diverse kleine Wünsche, die für mich Windows 10 und das restliche Microsoft-Ökosystem noch attraktiver machen würden.

– Das Windows Explorer braucht eine Generalüberholung. Das Paradebeispiel, wie für mich der ideale Dateimanager von Windows 10 aussehen müsste, ist dabei Dolphin vom KDE-Projekt.
– Microsoft Sway sollte wirklich mal als vollwertiges Mitglied der Office-Familie die nötige Beachtung erhalten und eine vollwertige Win32-App spendiert bekommen.
– Ein Feature, um das ich die Apple-Community in ihrem Ökosystem wirklich beneide, ist AirDrop. Das Feature von iOS und macOS erlaubt es, dass man über ein universelles Menü nicht nur Kernfunktionen wie die Leseliste oder den Druckdialog aufrufen kann, sondern hier können sich auch diverse Dienste wie Pocket, unterschiedliche soziale Netzwerke, die Mail-Apps usw. einklinken und man kann hier direkt aus der jeweiligen Anwendung heraus etwas teilen. Die Teilen-Funktion von Microsoft Edge geht zwar schon in diese Richtung, aber bei Apple ist AirDrop wirklich überall und nicht nur auf Safari beschränkt (und kann von Drittanbietern aufgegriffen werden). Microsoft kann also hier noch deutlich mehr herausholen, was sie hoffentlich irgendwann noch tun.

Und jetzt ihr!
Wie gesagt, das ist jetzt ein sehr subjektiver Kommentar und spiegelt meine persönlichen Wünsche und Ansichten wider. Eure können davon natürlich komplett abweichen. Deswegen würde mich mal interessieren, was ihr darüber denkt und ob ihr vielleicht zu einem ganz anderen Fazit kommt als ich.

Bedenkt aber bitte eines: Die Universal Apps und im erweiteren Pulk auch Windows 10 Mobile sind nicht gleichbedeutend mit der Universal Windows Platform. Dass viele von euch traurig bzw. sauer sind und Microsoft hier in seiner Öffentlichkeitsarbeit einen riesengroßen Mist gebaut hat, wissen mittlerweile alle und das haben wir mittlerweile auch zur Genüge durchdiskutiert. Deswegen wird Windows aber nicht von heute auf morgen untergehen und wenn ich ehrlich bin, fand ich auch die Sätze von Martin im Artikel zu Viber deutlich zu hart (sry Chef!). Bleibt also bitte sachlich. Dieser Artikel ist nur eine Diskussionsgrundlage und kein verbaler Boxring.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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