Am Puls von Microsoft

Microsoft auf dem Weg in die selbst gemachte Browser-Irrelevanz?

Microsoft auf dem Weg in die selbst gemachte Browser-Irrelevanz?

Im April 2016 tat sich Historisches: Erstmals seit Ende der 90er Jahre ist Microsoft nicht mehr der Platzhirsch bei den Browsern. Selbst wenn man die Anteile von Internet Explorer und Edge addiert, liegt man in Summe hinter Chrome zurück. Dazu kann man Google zunächst nur gratulieren, denn Erfolg kommt von guter Arbeit und die wird bezüglich Chrome ganz offensichtlich geleistet. Wäre es nur so, dass Google einfach besser ist als Microsoft, wäre die Geschichte vielleicht gar nicht weiter bemerkenswert. Es sieht allerdings ganz so aus, als hätte Microsoft den Zug selbst aufs Abstellgleis gelenkt, und das auch noch völlig ohne Not.

Werfen wir einen Blick zurück und schauen auf den Juli 2015 – im letzten Monat vor Erscheinen von Windows 10 war Microsoft mit dem Internet Explorer noch die Nummer 1.

Innerhalb von nur neun Monaten hat sich das Bild dramatisch gewandelt. Google Chrome hat aus 26 Prozent Rückstand einen rund fünfprozentigen Vorsprung gemacht, das kommt einem Erdrutsch gleich. Bei den restlichen Browsern tut sich nicht viel, es ist also im Wesentlichen eine Bewegung von Microsoft zu Google, die mit atemberaubender Geschwindigkeit vonstatten geht.

Der Grund: Windows 10
Ziehen wir den Nutzungsanteil von Windows 10 hinzu, der aktuell bei 15,34% liegt, ergibt sich ein äußerst auffälliges Bild. Die Zuwächse von Chrome und Windows 10, die gleichzeitigen Verluste des Internet Explorer sowie der Anteil von Edge korrelieren gerade zu perfekt. Die Statistik erzählt uns: Von den Nutzern, die auf Windows 10 umgestiegen sind, haben zwei Drittel den Wechsel zu Chrome vollzogen, nur ein Drittel nutzt den neuen Browser Edge.

Natürlich ist diese Schlussfolgerung nicht bewiesen, aber die Zahlen und die Geschwindigkeit, mit der Chrome just seit dem Erscheinen von Windows 10 zulegt, sind einfach zu eindeutig.

Microsoft hat den Internet Explorer zu früh beerdigt
Mit dem Erscheinen von Windows 10 hat Microsoft den Internet Explorer quasi ins Grab geworfen. Man verkündete offiziell, dass man den Browser weiterhin pflegen wird, aber dass die Zukunft nun bei Edge liegt. Rein technisch gesehen ist das bedeutungslos, man kann den Internet Explorer unter Windows 7, 8 und 10 noch genau so nutzen wie vor einem Jahr, er ist nicht schlechter geworden. Mit der Ankündigung hat man aber eine Botschaft in die Köpfe der Nutzer transportiert: Der IE ist tot, wir wollen ihn selbst nicht mehr. Such Dir einen neuen Browser. Und das haben die Leute dann auch getan…

Der fatale Frühstart von Edge
Ich wiederhole mich in diesem Punkt zum gefühlt 100. Mal: Microsoft hat dem neuen Browser Edge mit dem viel zu frühen Start eine Image-Hypothek auferlegt, von der er sich vermutlich nie wieder erholen wird. Die Version von Edge, die zum Start von Windows 10 ausgeliefert wurde, war eine Zumutung. Viele simple Basis-Features fehlten, von der Unterstützung für Erweiterungen ganz zu schweigen. Selbst für anspruchslose Anwender war Edge nicht zu gebrauchen.

Das hat sich glücklicherweise inzwischen geändert, Microsoft Edge ist ein prima Alltags-Browser, das ist er für mich (obwohl ich derzeit in der Tat auch hauptsächlich Chrome nutze) und viele andere Nutzer auch ohne die neuen Funktionen, die erst mit dem Anniversary Update kommen werden.

Der Image-Schaden ist allerdings angerichtet – und es gibt, wie wir wissen, keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck. Sehr viele Nutzer haben Edge kurz angeschaut und sind dann zu Chrome gewechselt. Ohne triftigen Grund werden sie keinen zweiten Versuch unternehmen. Die Chance, die man zum Start von Windows 10 gehabt hätte, kommt nicht wieder.

Unter dem Strich komme ich zu der Schlussfolgerung: Windows 10 hätte gänzlich ohne Edge an den Start gehen sollen. Das Anniversary Update wäre ein guter Zeitpunkt gewesen, so lange hätte man noch am Internet Explorer als Standard festhalten sollen. Mit der gewählten Strategie hat man Google die Nutzer regelrecht in die Arme getrieben und sich selbst ins Abseits gestellt.

(Ganz korrekt muss es eigentlich heißen: Edge hätte im Juli 2015 auf dem Stand sein müssen, auf dem er im Juli 2016 sein wird)

Kann die Wende noch gelingen?
Kurze Antwort: Vielleicht, es ist aber unwahrscheinlich.
Lange Begründung: Für viele Anwender sind Erweiterungen das A und O bei einem Browser. Nach dem App Gap bei Windows Phone werden wir in Zukunft über das Extension Gap bei Edge reden. Die Frage nach dem Zeitpunkt, wann Edge eine ähnliche Vielfalt bieten wird wie Chrome oder Firefox, lässt sich präzise beantworten: niemals.
Da kann das Portieren noch so einfach sein: Wenn die Zielgruppe klein ist, macht man sich diese Mühe nicht, und so drehen wir uns im bekannten Teufelskreis. Das wird bei den Browsern nicht so gravierend ausfallen wie bei Smartphones, denn Erweiterungen spielen dann doch keine so entscheidende Rolle. Edge wird schnell viele populäre Add Ons erhalten, spannend aber wird es bei den zahllosen kleinen Entwicklern, bei denen Microsoft nicht an der Haustür kratzt und einen Umschlag durch den Spalt schiebt. Die werden sich von selbst nicht bewegen, warum sollten sie auch.

Der mobile Effekt ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Weit über 90 Prozent der Nutzer eines Windows-PC haben kein Windows Phone. Wenn sie also einen Browser suchen, der sich plattformübergreifend verwenden lässt und z. B. Lesezeichen synchronisiert, dann landen sie zwangsläufig bei Chrome oder Firefox. Ich wiederhole daher gerne meine provokative These vom März und bleibe dabei: Der Weg zum Erfolg führt für Edge nur über iOS und Android.

Man soll mit langfristigen Prognosen ja immer sehr vorsichtig sein, die Dinge ändern sich manchmal schneller, als man denkt. Im Moment gibt es jedoch keinerlei handfeste Anzeichen dafür, warum Chrome in den kommenden Monaten nicht noch sehr viel deutlicher davon ziehen sollte, während Edge zwar prozentual wachsen wird, relativ zur Nutzerzahl von Windows 10 betrachtet aber eher verliert. Der Aufbruch in ein neues Browser-Zeitalter könnte für Microsoft am Ende leider der Aufbruch in die Browser-Bedeutungslosigkeit gewesen sein.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

Anzeige