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Gedanken zum x86-Emulator für ARM: Gekommen, um zu gehen

Eigentlich ist es ja nur ein Gerücht, dass Microsoft an einem x86-Emulator für die ARM-Architektur arbeitet. Fraglich ist für mich bei diesem Thema aber nur, ob – und wenn ja – wann die Umsetzung gelingen wird. Dass sie es tun wollen, und dass sie es letztlich sogar tun müssen, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Aber nicht aus dem Grund, an den viele Leser jetzt eventuell zuerst denken.

Es ist die wichtigste Transformation der letzten ca. 30 Jahre, die hier ins Haus steht, und sie ist schon lange überfällig: Der alte, schwerfällige Moloch Windows auf x86 Basis hat seinen Zenit längst überschritten und zieht einen endlosen Rattenschwanz an Code hinter sich her, der nur noch existiert, um irgendwelchen alten Kram lauffähig zu halten. Echte Innovation ist schwer bis unmöglich geworden, weil man auf zu viele Dinge Rücksicht nehmen muss.

Natürlich hat das gute Gründe, und reine x86 Systeme werden auch noch viele Jahre gebraucht werden. Für die moderne Zukunft ist diese Plattform aber einfach nicht mehr die richtige. Als Microsoft Windows 10 als “die letzte Version von Windows” angekündigt hat, wollten sie uns damit die kontinuierlichen Updates verkaufen. Aber ich glaube , sie haben das auch wirklich so gemeint: Eine weitere Version, die diesen ganzen Ballast mit sich herum trägt, darf es nicht geben. Wir brauchen einen Schnitt. Und auch wenn es den Anschein hat, dass mit einer x86-Emulation unter ARM das langfristige Überleben gesichert werden soll, so glaube ich, dass genau das Gegenteil der Fall ist. In dem man x86 von der Hardware abkoppelt, geht man den ersten wichtigen Schritt zu dessen langfristiger Abschaffung.

Die Windows 10 Mobile Fans sehen in dem x86 Emulator eventuell einen Hoffnungsträger. Der berühmte “Game Changer”, der dann doch noch alles gut werden lässt. Hier muss man jedoch Unterschiede machen. Die trotzigen “Windows 10 Mobile ist nicht tot!-Rufer werden am Ende Recht behalten. Diese Reise beginnt gerade erst, und sie wird ziemlich spannend werden.

Aber bezogen auf das, was wir heute “Smartphone” nennen, ist genau das Gegenteil der Fall. Mit einem x86 Emulator würde sich Windows 10 Mobile aus genau diesem Segment endgültig verabschieden, entsprechende Geräte hätten nur noch äußerlich Ähnlichkeiten. Aber das könnte eine Entwicklung einleiten, an deren Ende echte 3in1 Geräte stehen, wie HP das mit dem Elite x3 aktuell anstrebt. Diese Geräte wären in der Tat weder Fleisch noch Fisch: keine richtigen Smartphones und auch keine richtigen PCs, aber sie könnten genau der Kompromiss sein, der in vielen Business-Szenarien perfekt funktioniert.

Bezogen auf Tablets und Notebooks mit ARM-Chips kämen wir mit einem x86 Emulator dann zu einer Art Windows RT reloaded. RT mag kommerziell ein gigantischer Fehlschlag gewesen sein, die Idee dahinter war jedoch genial und daher wurde sie auch nie begraben. Abgesehen davon, dass solche Geräte leicht, dünn und trotzdem leistungsfähig sind und eine Akkulaufzeit bieten, von der man auf einem x86 System nur träumen kann, wären sie auch der Traum jeder Unternehmens-IT: Völlig vernagelte Systeme, in die der Nutzer nichts mehr einschleppen kann.

Und nebenbei bemerkt halte ich das auch im Consumer-Bereich für eine tolle Idee. Viele Probleme mit Windows entstehen nämlich erst dadurch, dass der Nutzer einfach zu viel darf. Ich sehe die Power-User, UAC-Abschalter und Admin-Konto-Aktivierer schon schwer atmen, aber ganz ehrlich: Ich wüsste nicht, warum ein Standard-Heimanwender an seinem Gerät mehr können sollte als es einzuschalten, Software aus einem Store zu installieren und diese zu benutzen. Genau das ist nämlich bis heute ein Erfolgsgeheimnis von iOS, und wenn Microsoft auch ein System haben möchte, welches “einfach funktioniert”, dann geht das nur, in dem man es konsequent vor dem Nutzer schützt.

Letzteres ist keine Hardware-Eigenschaft, auch ein x86-System kann man komplett schließen. Mit einem technologischen Umbruch als Basis lässt sich ein solcher Paradigmen-Wechsel aber eindeutig besser verkaufen.

Ich gehe ziemlich sicher davon aus, dass in diesem x86-Subsytem (so es denn kommt, wir gackern ja noch immer über ungelegte Eier) nicht einfach beliebige Anwendungen installiert werden können, sondern dass hierfür spezielle Signaturen erforderlich sind, und Vieles wird auch einfach gar nicht kompatibel sein. Software, die systemnah im Kernel-Modus läuft, wie beispielsweise Imaging-Programme oder Sicherheits-Suiten, werden auf diesem Wege nicht funktionieren. Die ersten Ansätze davon werden sich auch ganz prima eignen, um die Idee niederzuschreiben und zu erklären, warum das niemals praxistauglich werden kann.

Es ist in der Tat auch noch ein weiter Weg. Natürlich kann ich auch nur vermuten, aber wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre so anschaue und unter anderem sehe, wie Microsoft mit dem Projekt Centennial gezielt die Metarmophose von klassischen Desktop-Anwendungen vorantreibt, dann glaube ich: Der x86 Emulator wird integriert, um ihn eines Tages wieder ausbauen zu können – weil es nichts mehr gibt, was emuliert werden muss.

Bei der Durchsetzung dieser Vision wird sich Microsoft auch gegen die Nutzer stellen müssen, die den langfristigen Vorteil nicht sofort erkennen. Aber sie müssen da durch, es gibt keine Alternative.

Im folgenden Satz bitte unter “Windows” das ganz klassische x86 System verstehen:

Vereinfacht könnte man sagen: Microsoft muss Windows töten. Denn wenn sie es nicht tun, dann tut es ein Anderer – und der sammelt dann auch die Kunden ein.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 16 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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