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Google vs. Bing - Spionageaffäre oder viel Rauch um Nichts?

Martin

Webmaster
Teammitglied
Es ist der Stoff, aus dem moderne Wirtschaftskrimis gestrickt sind. Ein riesiger Konzern verdächtigt einen anderen riesigen Konzern, heimlich seine Daten zu stehlen und für eigene Zwecke zu gebrauchen. Man stellt eine Falle auf, der Konkurrent tappt prompt hinein, und der Skandal ist perfekt!
So geschehen zwischen Google und Microsoft.
Die passenden Schlagzeilen lassen freilich nicht lange auf sich warten - Microsoft klaut bei Google, Microsoft kupfert ab, Microsoft schummelt - suchen Sie sich Ihre Lieblings-Schlagzeile aus.
Ein wahres Fest für die Nachrichten-Redaktionen, wann bekommt man schon mal eine derart heiße Story quasi frei Haus geliefert. Nur zu verständlich, dass man das gerne an die große Glocke hängt und diese anschließend läutet.
Jeder Ansatz, die Sachlage etwas nüchterner zu betrachten, schmälert den Effekt und macht die Nachricht weniger sensationell.
Auch auf die Gefahr hin, Sie gleich fürchterlich zu langweilen, werde ich aber genau das jetzt tun - vielleicht (oder hoffentlich gerade deshalb) schaffen Sie es trotzdem bis zum Ende.


Was ist passiert?
Irgendwann im Herbst des letzten Jahres fiel den Leuten bei Google eine verdächtige Ähnlichkeit zwischen Google und Bing bei den Top-Treffern zu bestimmten Suchbegriffen auf. Weiterhin will man beobachtet haben, dass zu verschiedenen Anfragen - auch solchen, die ungewöhnliche Tippfehler enthielten - mit etwas Zeitverzug bei Bing gleiche oder ähnliche Ergebnisse gelistet wurden. Und man wertete dies als Indiz dafür, dass Bing gezielt die Google-Suchergebnisse kopiert.
Da es weder Beweis noch Gegenbeweis gibt, lassen wir das an dieser Stelle einfach mal so stehen.


Die Falle!
Google entschloss sich, Microsoft eine Falle zu stellen - man erdachte 100 kryptische Suchbegriffe, die niemals ein Mensch verwenden würde - zum Beispiel "juegosdeben1ogrande" - und man sorgte dafür, dass Google zu diesen Begriffen eine bestimmte Webseite als Treffer anzeigte.
Dann griffen 20 Google Mitarbeiter zu ihren Notebooks, gaben im Internet Explorer mit installierter Bing Toolbar diese Suchbegriffe bei Google ein und klickten auf die Ergebnisse. Und siehe da: Nach einiger Zeit tauchten genau die Seiten, die Google als Treffer zu den Phantasie-Begriffen zeigte, auch bei Bing auf.
Die Falle hatte zugeschnappt, und Microsoft war zweifelsfrei überführt, Googles Suchergebnisse kopiert zu haben. Klarer Fall, oder?


Oder doch ein ganz normaler Vorgang?
Die Bing Toolbar sammelt - wie praktisch jede andere Browser-Toolbar auch - Informationen darüber, was der Anwender mit seinem Browser so anstellt. Im konkreten Fall haben 20 Personen - scheinbar unabhängig voneinander - einen Suchbegriff eingegeben und offenbar etwas gefunden - und zwar in allen Fällen exakt die selbe Seite. Diese Informationen hat die Bing Toolbar an die Microsoft-Server übertragen. Ist es nicht völlig normal, dass Bing anschließend die beiden Informationen - nämlich Suchbegriff und gefundene Seite - miteinander verknüpft?
Microsoft streitet die Vorwürfe an dieser Stelle nicht einmal ab - man benutze viele verschiedene Informationsquellen, und die über die Bing Toolbar gesammelten Informationen seien eben eine davon. Microsoft betonte in diesem Zusammenhang, dass die Nutzer dieser automatischen Rückmeldung vorher zugestimmt haben müssen und die Daten anonymisiert würden. Diese Erklärung führte natürlich unmittelbar dazu, dass man Microsoft der User-Spionage bezichtigte, aber auch dieser Vorwurf hält einer kritischen Überprüfung nicht stand - die Installation der Bing Toolbar erfolgt freiwillig, und der Datenübetragung muss explizit zugestimmt werden.
Diese Vorgehensweise hat sogar einen offiziellen Namen - Crowdsourcing
Überhaupt könnte man Microsoft eher vorwerfen, dass diese Technik nur unzureichend funktioniert - von den 100 künstlichen Google-Begriffen sind nämlich weniger als zehn bei Bing aufgetaucht.
Die Erwiderung Microsofts, Google nutze seine Toolbar und den eigenen Browser Chrome für identische Zwecke, wies Google übrigens zurück - man greife nicht auf gesammelte Kundendaten zu. Natürlich nicht, Google doch nicht. Niemals.


Wer manipuliert hier eigentlich?
Weil Abstreiten nicht genug ist, setzt Microsoft eins drauf und geht zum Gegenangriff über. Das Vorgehen Googles entspricht dem krimineller Spammer, sagt der für Bing verantwortliche Yusuf Mehdi - man habe durch ein künstliches Konstrukt gezielt die Bing-Suchergebnisse manipuliert. Somit habe Bing nicht die Ergebnisse kopiert, sondern Google habe diese durch Klickbetrug der Microsoft-Suchmaschine quasi untergeschoben.
Weiterhin behauptet Mehdi, Google schaue sich neue Funktionen bei Bing ab, wie z.B. Innovationen bei der Bildersuche oder die Einbindung sozialer Netzwerke.
Die Beschuldigungen von Google seien ein Kompliment für die eigene Arbeit und der Beweis, dass man Angst vor der Konkurrenz durch Bing habe.
(Angesichts der Marktanteile in Deutschland mag das lächerlich klingen, in den USA sieht die Lage jedoch in der Tat anders aus:
http://www.drwindows.de/windows-news/28927-bing-waechst-in-den-usa-schneller-google.html)


Der Versuch eines Fazits
Ob und in welcher Form Microsoft die Google-Ergebnisse gezielt angezapft hat, lässt sich meiner Meinung nach nicht belegen. Vielleicht war es so, vielleicht auch nicht. Eventuell wird der Fall noch die Gerichte beschäftigen. Was den Trick mit den künstlichen Suchbegriffen angeht, hat Google durch seine eigene Darstellung aber schon den Beweis erbracht, dass Microsoft die Ergebnisse keinesfalls kopiert, sondern bestenfalls indirekt abgeschaut hat.
Interessant ist auch der Umstand, dass Google für diese Falle seinen eigenen Index gezielt manipuliert hat - bisher hatte man immer behauptet, dies sei technisch überhaupt nicht möglich. Wer kann jetzt noch sicher sein, dass dies die einzige Manipulation war?
In jedem Fall wären beide Konzerne gut beraten, die Diskussion nicht weiter öffentlich auszutragen - schon jetzt hat man bei jedem neuen Vorwurf fliegende Förmchen vor Augen. Eine öffentliche Schlammschlacht wird auf beiden Seiten einen Imageschaden hinterlassen.



Die Links zum Thema:
Google: Bing Is Cheating, Copying Our Search Results
Microsoft: 'We do not copy Google's results' | ZDNet
Bing Thoughts on search quality - Search Blog - Site Blogs - Bing Community
Official Google Blog: Microsoft’s Bing uses Google search results—and denies it
 
Zuletzt bearbeitet:
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In jedem Fall wären beide Konzerne gut beraten, die Diskussion nicht weiter öffentlich auszutragen - schon jetzt hat man bei jedem neuen Vorwurf fliegende Förmchen vor Augen. Eine öffentliche Schlammschlacht wird auf beiden Seiten einen Imageschaden hinterlassen.

Du willst doch diesem Konflikt einen gewissen Unterhaltungswert nicht abstreiten? Irgendwie wäre es doch schade, wenn dieses Sahnestück unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen würde. Und einen Imageschaden müssen beide Konzerne wohl nicht fürchten - die Meinungen in der Öffentlichkeit sind wohl eh' festgefahren.
 
So gesehen magst Du Recht haben (wo ist mein Popcorn? ;))
Wenn sich so peinlich gestritten wird, schau ich halt nicht gerne zu, da ist bei mir immer gleich fremdschämen angesagt :).
 
Wenn man nur diese eine Episode betrachtet hast du selbstverständlich vollkommen Recht. Aber es handelt sich lediglich um ein Ereignis im Verhältnis zwischen Microsoft und Google. Der Streit begann mit der Veröffentlichung von Bing auf der einen und der Online-Office-Anwendungen durch Google auf der anderen Seite. Inzwischen konnten wir so viele Peinlichkeiten beobachten, dass ich gar nicht genügend Ecken finden kann, in die ich mich zum Schämen stellen kann.
Mein absoluter Favorit für die Hall of Fame der Peinlichkeiten ist ja die Episode, die der von dir beschriebenen "Spionageaffäre" unmittelbar vorausging. Google hatte entschieden, den vom W3C favorisierten Video-Standard HTML5 in Chrome nicht zu unterstützen. Damit hätte Microsoft eigentlich zufrieden sein können, da sich Google auf diese Weise vom Rest der Welt isoliert. Aber nein, Browser sind Microsofts Förmchen. Deshalb hat Microsoft sich hingesetzt und die "Windows Media Player HTML5 Extension for Chrome" geschrieben. Das müssen wir uns auf der Zunge zergehen lassen: Nur um den Marktbegleiter zu brüskieren wertet Microsoft dessen Produkt auf und hält es wettbewerbsfähig.
 
Ich habe jetzt noch einen weiteren Grund für Googles Verhalten gefunden. Google hat in Europa ein Kartellverfahren am Hals, nachdem andere Suchmaschinenbetreiber, beispielsweise die Preissuchmaschine foundem aus GB Google angezeigt haben, weil sie sich bei der Reihenfolge der Suchergebnisse benachteiligt fühlen. Daher verhandelt Google derzeit mit der EU, um auf diese Weise den Ablauf des Verfahrens zu verkürzen. Vermutlich rechnete sich die Company einen Vorteil aus, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigen kann so nach dem Prinzip: "Bing ist aber auch böse".
 
Das ist die Wirtschaftspolitik - um so dominierend ein Unternehmen wird und entsprechenden Macht gewinnt um so ähnlicher werden Ihre Streategien.

Bleibt nur zu hoffen das wir Konsumenten durch unser Verhalten für ein Gleichgewicht sorgen was hoffentlich die Moral der riesen stärkt. (Off-Topic: Das es auch anders geht zeigt auch Mark Richard Shuttleworth oder Julian Paul Assange)

Fragt mich jetzt aber nicht welcher Suchmaschine jetzt Moralischer ist :)
Schließlich geht um Marktdurchdringung und Treffern...
 
Ich habe noch einen möglichen Grund, der aus rein deutscher Sicht zunächst schwer nachzuvollziehen ist: Angst

Während Bing in Deutschland praktisch nicht existiert, ist der Marktanteil in den USA deutlich höher, dort kommt man auf fast 30 Prozent und hat Google zuletzt in nur einem Monat zwei Prozentpunkte abgenommen.
Die Zahl der Suchanfragen stieg im Januar bei Bing um 21 Prozent.
Das heißt, die nehmen aus Googles Sicht in bedrohlicher Art und Weise Fahrt auf.
 
Es ist wie im Fernsehen. Kaum kommt eine Komödie gut an, wird eine Fortsetzung gedreht. Wie die Financial Times meldet ist das auch in der von Google und Bing veranstalteten Sandkasten-Farce nicht anders.
"Hiybbprqag!" Dieses etwas schwierig auszusprechende Wort hat durch Googles Aktion zweifelhafte Berühmtheit erlangt. "Hiybbprqag" war eine der sinnfreien Buchstabenkombinationen, die das Unternehmen verwendete, um Microsoft das Kopieren seiner Suchergebnisse nachzuweisen. Jetzt hat sich ein Google-Mitarbeiter die Domain Hiybbprqag.com gesichert. Gibt man die Internetadresse in den Browser ein, wird man ausgerechnet auf Googles Seite mit Stellenausschreibungen geleitet.
Der Suchskandal gelangte über die Seite des Bloggers Danny Sullivan an die Öffentlichkeit. Sullivan war es auch, der jetzt auf die Weiterleitung von Hiybbprqag.com auf die Google-Webseite aufmerksam machte. Ein gewisser Chih-Chung Chang habe sich die Domain gesichert. Dessen Adressangabe stimme merkwürdigerweise mit der des Google-Büros in Taiwan überein. Der Suchkonzern bestätigte inzwischen, dass es sich um einen Mitarbeiter handelt. Ein ernst gemeinter Abwerbeversuch für findige Entwickler? Wohl eher ein Seitenhieb auf Microsoft - prangt doch auf der Seite der Satz: "Lasst uns zusammenarbeiten."
Chang ist jedenfalls nicht der einzige, dessen Fantasie von der Suchmaschinen-Affäre beflügelt wurde. Ein gewisser William Hsu richtete die Seite "Betterbing.org" ein, die eine Suchmaschine simuliert, dann aber direkt auf eine Google-Trefferliste weiterleitet. Auch für den US-Komiker Stephen Colbert, bekannt für seine satirische Nachrichtensendung "The Colbert Report", ist die Geschichte ein gefundenes Fressen. Colbert kam zu dem einfachen Schluss: "Evidently, hiybbprqag is a word meaning you got served." Was in diesem Fall so viel bedeutet wie: "Du bist aufgeflogen."
Alle Informationen wurden von der Financial Times übernommen.
 
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