Am Puls von Microsoft

Die Windows 8(.1) Startbutton-Lachplatte – der Ärger geht jetzt erst richtig los

Es dürfte so gegen 19:20 Uhr gestern Abend gewesen sein, als ich am liebsten vor Fremdscham im Boden versunken wäre. Microsoft-Chef Steve Ballmer stellte auf der Build-Konferenz in San Francisco gerade Windows 8.1 vor, und ich schaute per Livestream zu. Er kam an die Stelle, an der er erwähnte, dass in Windows 8.1 wieder ein Startbutton zu finden sei.
Es brandete spontan Applaus auf. Nein, mehr noch, es war beinahe frenetischer Jubel. Ich war mehr als peinlich berührt.
Es kommt oft genug vor, dass ich mir sagen lassen muss, ein “alles irgendwie schön redender Windows-Fan zu sein”. Ich schlucke das runter, weil ich weiß, dass das teilweise richtig ist, obwohl ich mir selbst einbilde, durchaus auch mal eine kritische Sichtweise zu haben. Manchmal gilt man eben auch als Schönfärber, wenn man einfach nur nicht ins das allgemeine Bashing einstimmen will. Aber egal, darum geht’s ja nun nicht.
Ich also, der Windows Fan, hörte wie andere Windows Fans johlten und kreischten – und wie sie beinahe in orgastische Ekstase gerieten, als Ballmer nachschob: “You can boot to the Desktop”.
Erschütternd.

Ok, ich muss dazu sagen, dass ich die Streichung des Startbuttons nebst zugehörigem Startmenü in Windows 8 vermutlich gar nicht bemerkt hätte, wären da nicht die zahlreichen, teils mit erbitterter Härte geführten Diskussionen gewesen. Ich hatte es seit Jahren nicht mehr benutzt, weil es mir zu umständlich und unübersichtlich geworden war.
Häufig genutzte Programme hatte ich auf dem Desktop und in der Taskleiste. Was ich seltener benutzte, fand ich über “Windows Taste drücken und Suchbegriff eintippen” schneller, als wenn ich mich durchs Startmenü geklickt hätte. Und genau so funktionierte das in Windows 8 ja weiterhin.
Ich fand diese Design-Entscheidung also richtig und gut, und ich habe in vielen Diskussionen versucht, die Leute davon zu überzeugen, dass es effektivere Methoden als das Startmenü gibt. Dabei habe ich dann aber auch irgendwann gelernt, dass nicht alles, was für mich perfekt ist, auch für alle anderen gut ist. Klingt sehr logisch, wenn man das so liest, aber beobachtet Euch einfach mal selbst – wir alle tappen täglich in diese gedankliche Falle.

So kam ich also irgendwann zu dem Ergebnis: Es gibt Leute, die kommen in Windows 8 ganz wunderbar ohne Startbutton/Startmenü klar, für andere wiederum ist es ein K.O.-Kriterium. Darüber kann man nun stundenlang weiter diskutieren, oder es einfach so akzeptieren, denn die Positionen werden sich nicht annähern.

Für Microsoft sah ich genau zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren:

Möglichkeit 1: Den Startbutton und das klassische Startmenü als optionales, vom Benutzer an- und abschaltbares Feature wieder zu integrieren. Von irgendwelchen technischen Hürden braucht mir da niemand etwas zu erzählen, dafür sind sich Windows 7 und Windows 8 zu ähnlich. Das wäre ohne Wenn und Aber möglich gewesen.

Möglichkeit 2: Sich mit breitem Kreuz hinstellen und sagen: Es bleibt, wie es ist. Wer ein Startmenü braucht, soll doch bitte einfach zu einem der inzwischen zahlreich vorhandenen Drittanbieter-Tools greifen, die zum Teil sogar mehr Features haben, als sie das Windows 7 Startmenü vorher hatte.

Möglichkeit 2 schied leider sofort aus, denn das hätte ein fürchterliches Echo nach sich gezogen. Man hätte Microsoft Arroganz vorgeworfen und meine Kollegen von der schreibenden Zunft hätten derart vom Leder gezogen, dass ich mich für sie mindestens so geschämt hätte wie für das johlende Publikum vom gestrigen Abend.
Aber mal Hand aufs Herz: Ist es unter Windows nicht seit Jahrzehnten völlig normal, sich mit Drittanbieter-Tools fehlende Funktionen nachzurüsten? Wo ist hier also eigentlich genau das Problem?

Blieb also nur Möglichkeit 1. Das wäre für Microsoft – intern betrachtet – eine Niederlage gewesen. Man hätte eingestehen müssen, einen Fehler gemacht zu haben. Und so saß man in der Zwickmühle: Man wollte unbedingt am neuen Bedienkonzept festhalten, gleichzeitig aber auch beweisen, dass man auf das Feedback der Nutzer hört. Ein Feedback übrigens, welches zum Großteil von Leuten stammt, die Windows 8 gar nicht benutzt haben. Kann bei 5 Prozent Marktanteil gar nicht anders sein, die paar Windows 8 Nutzer wären gar nicht laut genug gewesen.

Man tat also etwas, dass man am liebsten gar nicht getan hätte, versuchte dabei aber gleichzeitig, das Gesicht zu wahren. Was kommt dabei heraus, wenn man etwas tut, was man eigentlich gar nicht tun will? Kennt Ihr aus Eurem eigenen Leben sicher auch: Murks!
Und genau das ist es, was auch den Startbutton in Windows 8.1 und seine Funktion ziemlich perfekt beschreibt: Murks. Großer Murks.
Ich habe es hier mal ganz nüchtern technisch beschrieben und erklärt, welche Features der Startbutton nun so bietet.
Ich als jemand, dem nichts gefehlt hat, brauche rein gar nichts davon. Aber ich war ja auch nicht gemeint.
Also stellte ich mir vor, ich wäre jemand, der sich sehnsüchtig das Startmenü zurück gewünscht hat. Dann würde ich mich mit dieser Lösung – mal ganz unverblümt ausgesprochen – verarscht fühlen. Und genau dieses Wort habe ich seit gestern Abend schon von sehr vielen Leuten gehört, mit denen ich persönlich, via Mail oder Chat über Windows 8.1 gesprochen habe.

Es wäre so einfach gewesen – einfach mal über den Schatten springen, oben erwähnte Option 1 wählen – und es ist Ruhe im Karton. Wer ein Startmenü will, der hat eins, wer keins braucht, verzichtet. Punkt. Thema durch.
Aber nein, stattdessen wird völlig unnötig ein weiteres Fass aufgemacht – mit einem halbherzigen Entgegenkommen, welches völlig vorhersehbar keinen Startmenü-Fan überzeugen und die unsägliche Diskussion in den Blogs, Foren und Online-Magazinen neu befeuern wird. Und bei Microsoft wird man vermutlich beleidigt sein und denken “Euch kann man es aber auch gar nicht recht machen”. Verlierer und Unzufriedenheit also auf beiden Seiten.

Und was ich als Windows-Fan ganz besonders schlimm finde: Ich klicke mich mit kurzer, fünfstündiger Schlafunterbrechung nun seit bald 20 Stunden ununterbrochen durch die Windows 8.1 Preview und denke immer wieder “cool, cool, cool – mein schönes Windows 8 ist an vielen Stellen noch besser geworden.”
Aber diese unsägliche Startbutton-Diskussion drängt das wieder in den Hintergrund und reduziert die Windows 8.1 Preview auf ein einziges und eigentlich kleines Thema.
Aber das haben die Leute aus Redmond dieses Mal ausnahmsweise nur sich selbst zuzuschreiben.
Schade!

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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