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Von Mini-Startmenüs, Fenster-Apps und anderen Gerüchten – Microsoft in einer historischen Zwickmühle

Nach dem Release ist vor dem Release, würde Sepp Herberger sagen: Kaum ist die neue Windows-Version draußen, klappern in der Gerüchteküche schon wieder heftig die Topfdeckel, und schnell werden aus vagen Ratespielchen quasi-Tatsachen: Das Startmenü kommt zurück, es kommt ein Windows ohne Desktop, aber auch eines mit, auf dem dann sogar Apps in Fenstern laufen.
Zeit für eine kleine Bestandsaufnahme und eine Einschätzung. Denn Microsoft steckt in der wohl größten Zwickmühle der Windows-Geschichte.

In die hat es sich selbst manövriert, in dem es mit Windows 8 versucht hat, ein Betriebssystem sowohl für Desktop-PCs als auch für Tablets zu schaffen. Dazu kommt aber noch ein weiteres Problem: Zukünftig muss mit schnellen Releases auf den Wettbewerb reagiert werden, gleichzeitig aber brauchen Unternehmen, die nur alle paar Jahre einen Windows-Rollout durchführen, einen verlässlichen Fahrplan.

Eine Sache noch vorweg: Ich mag nicht mehr darüber diskutieren, ob Desktop- und Startmenü-Befürworter rückständige Fortschrittsverweigerer sind oder die Windows 8 Freunde nur Spielkinder, die am Computer wahrscheinlich nie etwas arbeiten.
Fest steht ganz einfach: Es gibt Leute, die es mögen, und Leute, die es nicht mögen. So wie Manche lieber Fisch essen und Manche lieber Fleisch. Es gibt in diesem Punkt kein richtig oder falsch.

Fleisch oder Fisch?
Nun könnte man sagen, Microsoft soll einfach Jedem das servieren, was er gerne mag – es gibt da aber ein paar Dinge, die dabei beachtet werden müssen.
Es gibt zum Beispiel die Nutzer, die konsequent auf Maus und Tastatur setzen und von Touch nichts wissen wollen. Für sie sieht das perfekte Windows so aus wie Windows 7. Zwar mit neuen Features, aber optisch weitgehend unverändert.
Das Problem: Der Großteil davon wird in spätestens 2-3 Jahren eben doch ein Touch-Device nutzen, weil man keine Notebooks mehr ohne Touchscreens bekommen wird. Und dann werden die, die das jetzt als Schnickschnack abtun, zu den Ersten gehören, die meckern, wenn das nicht vernünftig optimiert ist.

Es gibt keine Alternative zu Touch
Es gibt daher aus meiner Sicht keine Alternative dazu, Windows so schnell wie möglich konsequent für die Touch-Nutzung zu optimieren – und zwar bis ins allerletzte Detail. Ich teste derzeit das 8 Zoll Tablet Lenovo Miix2, und auf einem so kleinen Gerät merkt man erst, dass die Touch-Bedienung auch in Windows 8.1 an vielen Stellen noch eine echte Zumutung ist. In einem durchgängig touchoptimierten Windows hat der Desktop und alles, was wir in diesem Zusammenhang heute kennen, nichts mehr verloren.
Das muss aber nicht zwingend heißen, dass man die Desktop-User und deren Wünsche einfach übergeht, im Gegenteil: Es muss ein Mittelweg gefunden werden, der beiden Nutzungsszenarien gerecht wird. Und genau diesen versucht Microsoft gerade zu finden.

Startmenü und Fenster-Apps
Mit der nächsten Windows-Version – oder im Zuge eines Wartungsupdates vielleicht auch schon früher, soll es wieder ein Startmenü geben, außerdem soll man Apps wieder in Fenster ‘sperren’ können, wie das mit Hilfe von Drittanbieter-Tools heute schon möglich ist. Ich hätte darauf erst mal gar nichts gegeben, wäre nicht Paul Thurrott die Quelle. Der beteiligt sich nämlich nur in wenigen Ausnahmefällen am Gackern über ungelegte Eier – wenn er es aber tut, dann ist mir kein Fall in Erinnerung, bei dem er nicht richtig lag.

Ein Fenstermodus für Apps dürfte unschwer zu realisieren sein, den Beweis dafür gibt es ja mit ModernMix bereits. Das viel größere Problem: Wenn man den Leuten die Möglichkeit gibt, Apps so zu benutzen wie normale Programme, dann werden sie das auch tun. Und dann werden sie meckern, wenn z.B. kein Drag&Drop zwischen zwei Apps oder zwischen Desktop-Anwendungen und Apps möglich ist, denn das gibt das Konzept im Moment technisch gar nicht her.
Wenn Microsoft an dieser Stelle einlenkt, dann muss das auch zu Ende gedacht werden, sonst kommt dabei so eine halbgare Lösung heraus, wie sie der Startbutton in Windows 8.1 ist.

Und damit sind wir dann beim viel spannenderen Thema: Das Startmenü.
Ich gehe davon aus, dass es mit geringem Aufwand möglich wäre, das klassische Windows 7 Startmenü einfach wieder in Windows 8.x einzubauen – es wurde in einem Block entfernt und kann wohl auf dem selben Weg auch wieder eingepflanzt werden.
Ich bin mir jedoch einigermaßen sicher, dass genau das nicht passieren wird. Und das war ich mir schon, bevor Mary Jo Foley gestern Abend neue Spekulationen dazu veröffentlicht hat, wie so ein Startmenü-Comeback wohl aussehen könnte. ‘Mini-Start’ soll es intern genannt werden, was schon mal darauf hindeutet, dass es eine verkleinerte Version des aktuellen Windows 8 Startbildschirms werden könnte. In der Tat schwer vorstellbar, wie das aussehen kann.
Klar ist für mich: Das Startmenü in der Optik von Windows 7 wird nicht wiederkommen. Denkbar wäre eine Variante, die in ihrer Struktur und Funktionsweise eben jenem Startmenü ähnelt, aber eben sowohl die Maus- als auch für die Fingerbedienung angepasst ist. Denn wie ich schon sagte: Es führt kein Weg an Touch vorbei.

Aus eins mach zwei und wieder eins?
Bis Windows wirklich vollständig und durchgängig für Touch optimiert ist, wird es wohl noch eine ganze Weile dauern. Damit man bei den Tablets aber endlich durchstarten kann, wird eine solche Version dringend benötigt. Gleichzeitig muss man, wenn Windows 7 nicht zum zweiten XP werden soll, die Desktop-Poweruser zügig für den Umstieg begeistern.
Daher halte ich die Theorie von Mary Jo Foley, dass die Entwicklung aufgesplittet wird, für durchaus plausibel. Ein Windows für die traditionellen Nutzer, das ihnen weitest möglich entgegen kommt und aus dem vielleicht sogar ein paar Oberflächenelemente von Windows 8 wieder verschwinden – und eine Version für Tablets, die zu 100 Prozent touchfähig ist, dem dafür aber diverse ‘Alt-Features’ fehlen.
Diese Aufsplittung würde bzw. sollte aber nur dem Zweck dienen, die Entwicklung in beide Richtungen möglichst zügig voran zu treiben – mit dem klar definierten Ziel, das dann wieder zusammen zu führen und so modular zu machen, dass es immer noch für beide Welten passt.

Fortschritt, Rückschritt, Kehrtwende?
Wenn diese Änderungen so kommen wie vermutet, dann kann man darüber diskutieren, was das nun ist. Eine Kehrtwende oder gar ein ‘Schuldeingeständnis’, dass man Windows 8 am Nutzer vorbei entwickelt hat? Das kann und darf wieder Jeder so bewerten, wie es ihm selbst am besten gefällt.
Ich persönlich sehe Windows 8 nach wie vor als mutigen und richtigen Schritt, auch wenn er nicht sonderlich populär war. Das mag man vielleicht ein bisschen mit Vista vergleichen. Das war auch ein System, das gefühlt niemand haben wollte, welches aber letztlich den Weg für Windows 7 ebnete – und damit war es im Nachhinein extrem wichtig, dass es existiert hat. Vielleicht werden wir in ein paar Jahren über Windows 8 das selbe sagen.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 16 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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