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Abseits der Hardware – was uns HoloLens 2 über Microsofts Zukunft erzählt

Abseits der Hardware - was uns HoloLens 2 über Microsofts Zukunft erzählt

Am vergangenen Sonntag habe ich –  wie viele von euch sicherlich auch – die Vorstellung der HoloLens 2 in Barcelona verfolgt. Es war technisch durchaus beeindruckend, was Microsoft da aufgefahren hat, andererseits war es aber auch genau das Erwartete: Ein neues Modell, in allen Belangen besser als das Vorherige, unter dem Strich aber dann doch eher evolutionär. Der “What the f*** did I just watch”-Effekt von 2015 konnte naturgemäß nicht mehr erzielt werden.

Außerdem konnte ich von Anfang an sicher sein, dass die HoloLens 2 für mich “nur” technisch interessant sein wird. Nicht nur, weil es nach wie vor kein Endkunden-Produkt ist, sondern weil ich mich just am Sonntagabend in jener Phase der akuten Männergrippe befand, in der man sich auf das nahende Ableben vorbereitet, da denkt man nicht mehr über Anschaffungen in dieser Größenordnung nach.

Spaß beiseite, ganz am Ende der Präsentation kam er dann doch noch: Der Wow-Moment. Microsoft stellte seine Prinzipien für die Mixed Reality Plattform vor, und diese sind ziemlich radikal. Es wundert mich, dass in den letzten Tagen noch niemand im Detail darauf eingegangen ist, denn was da gesagt wurde, erzählt uns viel über Microsofts grundsätzliche Strategie und kann unmöglich nur auf diese Plattform beschränkt bleiben.

Mixed Reality ist für Microsoft die Zukunft des Computing. Lassen wir ruhig mal dahingestellt, wie richtig oder falsch sie mit dieser Vision liegen, das spielt für diesen Beitrag keine Rolle. Dieser Hinweis soll nur ein Verständnis für die Bedeutung dieser Prinzipien vermitteln: Sie stehen über allen anderen und werden daher für alle künftigen Plattformen gelten, die Microsoft errichtet – also auch für Windows oder wie auch immer es künftig heißen mag.

Offenheit heißt das Zauberwort, das ich inzwischen aber schon gar nicht mehr so gerne verwende, weil der Begriff in Verbindung mit Microsoft schon beinahe ein wenig überstrapaziert wird und ich bereits die Gefahr einer Abnutzung sehe.

Eine vollkommen offene Plattform soll Mixed Reality für die Entwickler werden – jeder hat Zugriff auf alles, sozusagen bis in die hintersten Winkel des Systems. Jeder Entwickler hat vollen Zugang beispielsweise zu den Hardware-Sensoren – es sitzt keine von Microsoft verwaltete Funktion mehr dazwischen, die den Torwächter spielt.

Das zweite Prinzip des “Open Web Browsing Model” ist keine Überraschung mehr, schließlich hat Microsoft seine eigene Browser-Engine ja schon selbst über Bord geworfen. Trotzdem wird deutlich, dass man sich endgültig vom Browser-Besserwissertum trennen will. Die Botschaft ist: “Du willst einen Browser auf unserer Plattform bauen? Gerne doch, tu einfach was du willst.” Natürlich wird es weiterhin auf unterster Ebene Regeln geben, an die sich alle Browser halten müssen, schon alleine aus Sicherheitsgründen. In einem echten “Open Web Browsing Model” darf der eigene Browser aber nicht mehr gleicher sein als die anderen, und das ist für Microsoft durchaus ein radikaler Schritt.

Last but not least ist da noch das Prinzip des “Open App Store”: Microsoft erlaubt vollkommen gleichberechtigte App Stores neben seinem eigenen. Wer jetzt denkt, dass das ein leichtes Zugeständnis ist, weil der Microsoft Store keine große Erfolgsgeschichte ist, der verkennt die radikale Konsequenz, die dahinter steckt.

Jahrelang hat Microsoft gekämpft, ein Ökosystem zu errichten, welches es mit Apple oder Google aufnehmen kann, und zwar in jeder Hinsicht. Sie wollten auch unbedingt ein solches geschlossenes System, in dem der Store-Betreiber die Macht über Leben und Tod einer Software hat.

In meinem Artikel Wie geht es weiter mit dem Microsoft Store? habe ich ja schon aufgezeigt, wie es mit dem Microsoft Store weitergehen wird. Er wird nicht verschwinden, aber Microsoft “degradiert” ihn zu einer Software-Quelle von mehreren – und macht ihn vielleicht genau dadurch interessanter, weil sich Microsoft eben nicht mehr zum allmächtigen Herrscher aufschwingen möchte, sondern seine Plattform zu einem freien Handelsplatz für alle macht.

Ausgerechnet Epic-Chef Tim Sweeney, der Microsoft für seine Store-Strategie in der Vergangenheit mehrfach und zum Teil wüst kritisiert hatte, betrat am Sonntag die Bühne in Barcelona, um Microsoft für seinen neuen Weg zu loben – ein glaubwürdigeren Fürsprecher hätte man wirklich nicht finden können. Sweeney glaubt, dass es für andere Größen wie Apple, Google oder Facebook nun sehr viel schwerer wird, geschlossene AR-Plattformen aufzubauen. So sehr ich ihm da beipflichten möchte, man sollte nicht unterschätzen, wie abhängig viele Entwickler derzeit von diesen Unternehmen sind, und selbstverständlich werden sie schmutzig spielen, wenn sie Gefahr wittern, dass ihnen diese Macht entgleitet.

Wie gesagt, die Prinzipien “Open Platform”, “Open App Store” und “Open Web Browsing Model” wurden für die Mixed Reality Platform ausgerufen. Die damit verbundenen Auswirkungen aber sind zu weitreichend, als dass sie darauf beschränkt bleiben könnten. Sie werden für alles gelten, was Microsoft in Zukunft tut. Wir werden den Begriff der “Offenheit” also garantiert noch das eine oder andere Mal strapazieren müssen.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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