Cortana hat fertig – Alexa, bitte übernehmen sie

Die derzeit stattfindende CES und die dort vorgestellten Produkte manifestieren eine Erkenntnis, die eigentlich schon vorher keiner Bestätigung mehr bedurfte: Cortana als persönliche Assistentin ist erledigt, sie wird in diesem Markt keine Rolle spielen. Je schneller sich Microsoft dieser Realität stellt und die entsprechenden Konsequenzen zieht, umso größer ist die Chance, das Positive mitzunehmen.
Wieder mal: Idee zuerst gehabt und doch verloren
Natürlich tut das mal wieder weh. Auch wenn Cortana nach Siri kam, so hatte Microsoft erkannt, dass Sprachbedienung etwas Persönliches ist, und dass man demnach keine dumme Zuhörerin wie Siri braucht, sondern eine intelligente Assistentin mit einer gewissen „Persönlichkeit“. Darum wandert auch Cortana in die Schublade mit der Aufschrift: „Erste Idee: Microsoft – Erfolg: Andere“.
Die Verantwortung von Satya Nadella
Die Irrelevanz von Cortana ist außerdem auch eine persönliche Niederlage für Microsoft-Chef Satya Nadella. Bei Windows Mobile war die Situation bei seinem Amtsantritt schon aussichtslos, da konnte er nur noch die Konsequenzen ziehen. Cortana aber erschien unter seiner Führung und ist unter seiner Führung gescheitert, weil auch er die Dinge völlig falsch eingeschätzt hat. Noch vor einem Jahr sah Nadella Windows 10 mit Cortana gegenüber Amazons Alexa im Vorteil, weil man sich dafür ja kein eigenes Gerät kaufen muss. Das wirkte damals schon amüsant, heute würde er das ganz sicher nicht mehr über die Lippen bringen.
Im März 2017 stellte ich die Frage, ob Cortana so etwas wie das Windows Phone der digitalen Assistenten wird – und es erfüllt mich keineswegs mit Genugtuung, wenn ich heute feststelle, dass alles genau so eingetreten ist, wie ich es damals beschrieben habe.
Mutige Entscheidung gefragt
Wie bei Windows Phone muss Microsoft jetzt den Mut haben, das Scheitern einzugestehen und die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Cortana muss auch nicht sterben, sie muss nur eine neue Rolle bekommen. Sie kann zukünftig die wichtige Mitarbeiterin im Backoffice werden, während Alexa die Rolle der freundlichen Vorzimmerdame übernehmen kann. Die Kooperation mit Amazon muss in aller Konsequenz und unter Verzicht auf das eigene Branding zum Erfolg geführt werden. Versucht Microsoft weiterhin, Cortana als eigenständige Assistentin zu etablieren, wird das vorhersehbar schief gehen. So richtig ernst gemeint wirkte Cortana ohnehin noch nie.
Die Symbiose aus Alexa und Cortana
Auf den ersten Blick mag es so aussehen, als sei Amazon überhaupt nicht auf eine Kooperation mit Microsoft angewiesen, das ist allerdings nicht der Fall. Amazons Ökosystem hat eklatante Lücken, in die Microsofts Produkte perfekt hinein passen. Der aktuelle Hype um Alexa sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass Google mit seiner Übermacht langfristig die besseren Chancen hat. Man könnte die Verbindung zwischen Microsoft und Amazon sogar als eine „Allianz der Verzweifelten“ bezeichnen, die nur gemeinsam gegen Google bestehen können.
Was macht die Verbindung zwischen Alexa und Cortana so stark?
Alexa hat Skills in unüberschaubarer Anzahl, Cortana hat so gut wie keine. Diese Stärke zeigt aber auch gleichzeitig eine Schwäche auf: Was man Alexa nicht hart codiert beibringt, kann sie nicht. Hier ist Cortana tatsächlich besser, auch wenn man das nicht so wirklich bemerkt. Die KI-Fähigkeiten von Cortana sind sehr viel ausgeprägter, generell ist Microsoft beim Thema KI weiter als Amazon (gleichzeitig aber auch deutlich im Rückstand auf Google).
Cortana hat außerdem die tiefe Integration ins Microsoft-Ökosystem zu bieten, sie hängt am Microsoft Graph und damit am Gehirn jeglicher KI-Funktionen, die sich durch alle Microsoft-Produkte und Services ziehen. Da tun sich für Amazon und Alexa gewaltige neue Potenziale auf, das ist eine Welt, die es in deren Ökosystem nicht gibt.
Skype könnte von dieser Kooperation ebenfalls enorm profitieren. Zwar kann man mit Alexa auch schon telefonieren, aber echte Chancen, sich mit einem eigenen Messaging-Dienst zu etablieren, räume ich Amazon nicht ein. Würde man stattdessen auf Skype setzen, hätte Amazon sich in einen plattform- und formfaktor-unabhängigen Service eingeklinkt, und Microsoft hätte im Gegenzug endlich wieder einen echten Anwendungsfall für Skype.
Dass Alexa mit Bing sucht, ist kein neuer Vorteil, denn das tut sie schon immer – die Kooperation könnte aber dafür sorgen, dass es auch langfristig so bleibt, wobei die reine Websuche allerdings ohnehin immer unwichtiger wird.
Das Cortana-Frontend aus Windows 10 zu entfernen und durch Alexa zu ersetzen, würde Microsoft sicher schwer fallen, aber es ist letztlich die Entscheidung zwischen Relevanz und Irrelevanz. Ich würde als Aufwertung für Windows 10 verstehen, wenn man Cortana komplett durch Alexa ersetzen könnte – im Hintergrund kann sie ja dennoch auf die Cortana-Funktionen zugreifen, denn die sind hinsichtlich der Integration in Microsofts Produkte ja schon vorhanden und müssen nicht nochmal neu gebaut werden.
Als letzten Vorteil würde ich noch anführen, dass Microsoft auf diesem Weg doch noch einen halben Fuß in den Smart Home Bereich bekommt, der ansonsten vollständig an ihnen vorbei laufen wird. Windows 10 IoT hat mit Alexa deutlich bessere Chancen als mit Cortana.
„Es ist Zeit, harte Entscheidungen zu treffen, wo die Dinge nicht funktionieren“ hat Satya Nadella gesagt, kurz bevor er Windows Mobile beerdigte. Es ist Zeit für eine neue harte Entscheidung – zum Wohl von Windows und Microsoft, vor allen Dingen aber zum Wohl der Kunden.
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Über den Autor

Martin Geuß
Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!