Das neue Bing mit KI-Chat: Der erfolgreiche Flop

Zu Jahresbeginn stellte Microsoft das “neue Bing” vor, basierend auf ChatGPT, einer Technologie von OpenAI, an dem Microsoft wiederum milliardenschwer beteiligt ist.
Es sollte nicht weniger als die Neuerfindung der Internetsuche werden und Microsoft verband damit die große Zuversicht, Bing aus der Bedeutungslosigkeit zu holen und vielleicht sogar zu einem echten Herausforderer für Google zu machen.
Man war von der Zugkraft des neuen Bing derart überzeugt, dass man es exklusiv im hauseigenen Edge-Browser zur Verfügung stellte, andere Browser konnten den Bing Chat nicht nutzen. Im Kielwasser der KI-Welle sollte auch Edge zu neuen Ufern schwimmen.
Etwas mehr als ein halbes Jahr später lässt sich zunächst einmal nüchtern feststellen: Nichts davon hat funktioniert, weder Bing noch Edge konnten in diesem Jahr ihre Marktanteile nennenswert steigern, wie ein Blick in die Nutzerstatistiken zeigt. Microsoft Edge liegt bei den Desktop-Browsern weltweit betrachtet bei elf Prozent, mobil liegen die Nutzerzahlen unterhalb des messbaren Bereichs. Die Bing-Suche hatte im August einen Marktanteil von rund drei Prozent, soviel wie auch zu Beginn des Jahres.
Microsoft hingegen feiert das neue Bing als Erfolg und behauptet, die Nutzung von Bing befinde sich auf einem Rekordhoch. Das muss nicht mal gelogen sein, ich glaube allerdings, dass das “neue Bing” hauptsächlich von den Leuten intensiv getestet wurde, die Bing ohnehin schon nutzen. Wenn alle Leute mit Monatskarte die gleiche Strecke doppelt so oft fahren, sieht man das in keiner Bilanz, die Züge sind aber trotzdem voller.
Gemessen an der Frage, ob das neue Bing in der Lage ist, die Machtverhältnisse im Suchmaschinenmarkt auch wenigstens nur ein bisschen zu verschieben, ist es bislang gefloppt. Dass es so kommen würde, hat Microsofts CEO Satya Nadella wohl geahnt, als er sagte, man freue sich über jeden noch so kleinen Zugewinn.
In einem Punkt hatte Microsoft allerdings Erfolg: Man wolle Google zum Tanz bitten, hatte Nadella gesagt, und das hat wirklich funktioniert. Nachdem Microsoft vorgeprescht war, sah sich Google gezwungen, seinen Chatbot Bard eilig an den Start zu stellen und dessen Schwächen zu entblößen.
Microsofts (eingekaufte) Technologie war und ist ebenfalls (teilweise erschreckend) unreif, dennoch sah man sich gegenüber Google technologisch im Vorteil. Das KI-Rennen hat gerade erst begonnen und es ist völlig offen, wer in sechs, zwölf oder mehr Monaten die technische Führung innehat. Microsoft war gezwungen, dieses möglicherweise kleine Zeitfenster, in dem man die Nase ein wenig weiter vorne hat, für einen Überraschungsangriff zu nutzen. Sie mussten es versuchen, es war eine historische Gelegenheit.
Dass es nicht funktioniert hat, sollte Microsoft allerdings nicht allzu sehr frustrieren. Der KI-Boom wird Vieles verändern und es ist nachvollziehbar, dass vor allem die Underdogs versuchen, festgefahrene Machtverhältnisse aufzubrechen. Davon träumt Google seinerseits mit Duet, seinem Pendant zum Microsoft 365 Copilot. Aber auch da ist absehbar, dass es nicht zu einer Umwälzung des Marktes kommen wird.
KI hin oder her – Dominators gonna dominate. Und das sind für Microsoft auch durchaus gute Aussichten.
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- Künstliche Intelligenz
Über den Autor

Martin Geuß
Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 16 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!