Am Puls von Microsoft

Der Sprung ins kalte Wasser: Die Digitalisierung und meine Behinderung

Der Sprung ins kalte Wasser: Die Digitalisierung und meine Behinderung

Wenn ihr meinen Beiträgen, die ich über die vergangenen Jahre bei Dr. Windows veröffentlicht habe, relativ regelmäßig gefolgt seid, werdet ihr sicherlich wissen, dass ich eine psychische Schwerbehinderung habe, die meiner Mobilität sehr enge Grenzen setzt. Um die Agoraphobie besser auszugleichen, setze ich schon seit Jahren auf die Digitalisierung als bevorzugten Hebel, um meine Eigenständigkeit zu sichern. Dieser Bedarf wird in den kommenden Jahren nochmal deutlich zunehmen.

Rein rechtlich hat das nicht zuletzt auch mit dem neuen Betreuungsrecht zu tun, was seit Anfang 2023 gilt. Der wesentliche Punkt ist das neue Erforderlichkeitsprinzip, das eine Betreuung erst dann vorsieht, wenn alle anderen Hilfen ausgeschöpft sind, und selbst dann noch das neue Instrument der erweiterten Unterstützung vorschaltet. Natürlich bedeutet das auch insbesondere Unterstützung durch Elemente der Sozialgesetze wie das Bundesteilhabegesetz und daraus vorhandene Mittel wie die qualifizierten Assistenzen, aber es ändert eben nichts daran, dass die Digitalisierung ein ganz zentrales Element darstellt, was auch bei mir geeignet ist, mehr Selbstständigkeit zu sichern.

Der digitale Staat

Damit diese Sicherung wirklich funktioniert, geht es nicht zuletzt auch um die Möglichkeiten, die Bund und Länder dem Bürger zur Verfügung stellen. Entsprechend werden in diesem Abschnitt jetzt die Instrumente zu einem Thema, über die sich viele von euch sicherlich auch schon aufgeregt haben und wo sich die Verantwortlichen mit der verkorksten Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes nicht mit Ruhm bekleckert haben. Leider bilden der elektronische Personalausweis und die Bund ID die Grundvoraussetzungen, damit später andere Sachen wie das Justizpostfach sinnvoll genutzt werden können.

Offen gesagt sind das zusätzliche Abhängigkeiten, die ich als jemand, dem Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit trotz seiner Behinderung besonders wichtig sind, absolut nicht leiden kann. Das erste Onlinezugangsgesetz war ein kompletter Rohrkrepierer und ob es das neue Onlinezugangsgesetz 2.0 wirklich besser machen wird, da bin ich doch eher skeptisch. Noch hatten wir zwar nicht abschließend festgelegt, welche Möglichkeiten für mich wirklich sinnvoll sind, aber ob ich wirklich eine Diskussion etwa zur elektronischen Patientenakte führen möchte, das lasse ich momentan mal so stehen.

Das digitale Studium

Ein anderer wesentlicher Punkt und auch der größte Wunsch, den ich habe, ist das Fernstudium der Informatik, das mit einem Bachelor enden würde. Mittlerweile gibt es hier wirklich einige gute Entwicklungen. Technisch wäre es mit den entsprechenden Nachteilsausgleichen auch an der Fernuniversität Hagen wahrscheinlich machbar, zudem hat mir Dr. Windows als Projekt hier auch gewisse Türen geöffnet. Wichtige Stellen wie die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX oder die qualifizierte Assistenz wissen von meiner Arbeit hier und letztlich kam so erst die Einschätzung zustande, dass dieses Ziel unbedingt angegangen werden soll, weil ansonsten – deren Worte – „total verschwendetes Potenzial“ liegen gelassen wird.

Was auf der einen Seite gut klingt, ist mit rechtlichen Hürden verbunden, die man nicht unterschätzen darf. Liegt eine volle Erwerbsminderung vor, wird nicht nur die Finanzierung zur besonderen Herausforderung, auch das Studium selbst kann bestenfalls noch in Teilzeit absolviert werden. Außerdem kommt die Ausschlussklausel zum Tragen und bestimmte Unterstützungsmaßnahmen wie Assistenzen fallen weg, obwohl sie theoretisch notwendig wären. Am Ende läuft alles auf den Einzelfall hinaus.

Die digitale Verwaltung

Unabhängig von irgendwelchen externen Faktoren spielen auch Änderungen an meinem Software-Setup eine Rolle, über die ich wegen der zunehmenden Digitalisierung schon länger nachdenke. Ursprung dieser Überlegungen waren eigentlich mal die Kontensperrungen bei Microsoft, weswegen ich auch bei bestimmten Projekten wie OneDrive deutlich vorsichtiger geworden bin, aber durch die zunehmende Anbindung an Online-Konten und dem deutlichen Ausbau von KI haben sich diese Gedanken nochmal erhärtet.

Generell sind die einzelnen Bereiche hier sehr kleinteilig und betreffen Dinge wie die Verschlüsselung von Dateien oder das Management von Dokumenten, weswegen sich das hier schwer eingrenzen lässt. Zwei klare Punkte kann ich aber herausgreifen: Eines der Ziele ist es, wieder ein eigenes Linux-System auf echter Hardware zu haben, da ich a) das Ökosystem gut kenne und b) so zumindest wieder ein System ohne Druck zu einem Online-Konto vorhanden ist. Zweitens will ich in einem eng gefassten Rahmen irgendwann auch wieder Selfhosting übernehmen. Details dazu muss ich aber noch ausarbeiten.

Die digitale Inklusion

Zwei wichtige Restthemen sind natürlich noch, wie es bei den Therapie- und Unterstützungsmöglichkeiten aussieht. Unabhängig von der technischen Komponente ist es auch bei der Psychotherapie so, dass es bei Menschen wie mir mit sehr eingeschränkter Mobilität Möglichkeiten von der klassischen ambulanten Therapie bis zur stationsäquivalenten psychiatrischen Versorgung gibt. Mittlerweile ist es zudem so, dass auch in solchen Therapien verstärkt IT-Lösungen wie VR-Brillen eingesetzt werden, die auch mit Anbietern wie Invirto in Fällen wie mir gesondert erprobt werden. Was bei mir da gemacht wird, ist aber noch offen, deswegen kann ich dazu noch nichts sagen.

Eine andere Frage ist, wie man mit der Überbrückung von Distanzen umgeht, wenn die Mobilität quasi nicht vorhanden ist. Die natürliche Antwort, die viele von euch sicherlich geben würden, wären einfache Möglichkeiten wie Videokonferenzen, aber es gibt eben auch andere technische Möglichkeiten wie die Telepräsenzrobotik, wie dieses Beispiel zeigt. Die Wahrheit ist aber auch hier, dass momentan nicht absehbar ist, ob und in welcher Form solche technischen Lösungen bei mir eingesetzt werden.

Schlusswort

Vielleicht werden sich einige von euch jetzt fragen, warum man so stark auf einen Ausbau der Digitalisierung setzen muss und wie das mit Datenschutz und Datensicherheit vereinbar ist. Letztlich ist es nach den jüngsten Einschätzungen jetzt so, dass man bei mir von mindestens einer sehr langen Genesungszeit ausgehen muss und gleichzeitig nicht sagen kann, wie weit man die Auswirkungen der Krankheit überhaupt zurückdrehen kann. Gleichzeitig ist es auch so, dass es selbst bei den Möglichkeiten, die vor eine rechtlichen Betreuung kommen, die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund steht. Neben bekannten Möglichkeiten wie dem ambulant betreuten Wohnen ist eben auch die Digitalisierung bei mir besonders geeignet.

Dass ich im Bereich der Digitalisierung ziemlich gut unterwegs bin, hat gerade den anderen nicht zuletzt auch meine Arbeit hier bei Dr. Windows gezeigt, und im Wesentlichen möchte ich auch mein bestehendes Setup, was sich vor allem am Microsoft-Ökosystem orientiert, beibehalten und weiterentwickeln. Was mich aber auch immer schon ein bisschen gestört hat, ist, dass wir gerade in den Kommentarspalten unter den diversen großen Nachrichtenseiten immer wieder über die digitalen Fehltritte in Deutschland schimpfen, aber was das in einem praktischen und alltäglichen Kontext tatsächlich bedeutet und in welcher Form sich daraus auch positive Entwicklungen bei der Inklusion ableiten lassen, daran fehlt es bisher sehr.

Deswegen hatte ich mich auch nach Rücksprache mit den anderen Kollegen dazu entschlossen, den Prozess bei mir mit unregelmäßigen Beiträgen bei uns im Blog zu begleiten, ähnlich wie Martin das schon bei seinem Hausprojekt macht. Dieser Beitrag ist quasi der Auftakt dazu. Dabei werde ich sicherlich, so wie das auch bisher schon der Fall war, keine Kamikaze-Aktionen machen und nicht jeden Kram bei mir integrieren. Meine Prinzipien werde ich da treu bleiben. Trotzdem dürfte das sicherlich für einige von euch interessant werden.

Wenn ihr Fragen oder Anmerkungen hierzu habt, schreibt sie gerne in den Kommentarthread bei uns im Forum. Ich schaue dann mal, was ich schon beantworten bzw. zusagen kann.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

Anzeige