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Firefox 57: Ein Blick auf die Derivate, die den neuen Weg NICHT mitgehen

Firefox 57: Ein Blick auf die Derivate, die den neuen Weg NICHT mitgehen

Am 14. November erscheint mit Firefox 57 ein Release von Mozillas hauseigenem Browser, der in vielerlei Hinsicht einen Umbruch markiert und mit vielen alten Traditionen bricht. Vielen aus der bisherigen Nutzerschaft schmeckt dieses Vorhaben nicht und so wurde der Blick auf die Derivate, die diesen Schritt nicht mitgehen werden, immer stärker gerichtet. Schon jetzt ist dabei klar, dass auch nicht alle nach dem Umbruch weitergeführt werden. Mit Cyberfox wird einer der bekanntesten Vertreter mit Version 52.8, die am 1. Mai erscheinen wird, endgültig eingestellt.

Ich hatte lange überlegt, ob ich einen solchen Artikel überhaupt schreiben soll, aber der Aufklärung halber habe ich mich doch dazu entschlossen, das einmalig abzuhandeln. Deswegen werden wir in diesem Artikel einmal auf die drei wichtigsten Derivate blicken, bei denen unter den alten Gesichtspunkten eine Weiterführung geplant ist: Waterfox, Pale Moon und SeaMonkey. Außerdem soll es noch darum gehen, wie vor diesem Hintergrund die Zukunft von Thunderbird und Instantbird aussehen dürfte.

Waterfox
Ursprünglich wurde Waterfox in einer Zeit entwickelt, als Mozilla für Firefox noch keine native 64-bit Version anbot. Das wollte Alex Kontos, sein Entwickler, ändern und hatte seinerzeit für Windows eine (angeblich) deutlich performantere Variante gebaut, die nur für 64-bit Systeme zur Verfügung stand und mit der Zeit viele Mitbringsel von Firefox wie Pocket nicht inkludierte. Vor dem Hintergrund der neuen Entwicklungen bei Firefox hatte Kontos seine Pläne für Waterfox zuletzt konkretisiert. Mittlerweile steht der Browser für Windows, Mac, Linux und Android zur Verfügung und nutzt auch sein eigenes Profil. Mit der Zeit will man ein eigenes Addon-Repository aufbauen und arbeitet parallel an einer neuen Basis, die so viel Anpassungsfähigkeit wie möglich bieten soll. Ob es mit XUL/XPCOM weitergehen wird oder man ein Äquivalent auf Basis der WebExtensions bietet, steht noch nicht fest. Derweil wird Waterfox 56, der Ende Oktober erscheinen sollte, zunächst zu einer ESR-Version, die für die kommenden Monate dann Sicherheitsupdates bekommt, die von Firefox zurückportiert werden. Nähere Pläne will Kontos dann bekanntgeben.

Pale Moon
Die Entwickler rund um das bekannteste separatistische Derivat haben zuletzt eine wilde Zeit erlebt. Erst wurde die eigene Engine Goanna ins Leben gerufen, dann der eigene Mailclient FossaMail aufgrund mangelnder Ressourcen eingestellt und zuletzt wurde auch noch die Android-Version von Pale Moon eingestampft. Offiziell steht der Browser damit nur noch für Windows und Linux zur Verfügung, inoffiziell wird auch noch ein Mac-Port erstellt. Die generelle Antwort auf Firefox 57 lautet allerdings Project Basilisk und die Unified XUL Platform. Hierbei hat das Team um Chefentwickler Straver bereits vor einigen Monaten Firefox 52 ESR geforkt und will auf dieser Basis eine neue Basis für Pale Moon und die Goanna-Engine schaffen. Einen genauen Zeitplan gibt es aber noch nicht. Für mobile Nutzer bleibt Pale Moon Sync verfügbar, allerdings muss ein anderer Browser die Technik explizit adaptieren. Ein eigener mobiler Ableger ist vorerst nicht mehr geplant.

SeaMonkey
Der legitime Nachfolger der Mozilla Application Suite hatte in den vergangenen Monaten mit sehr großen Problemen zu kämpfen. Zwischen den Versionen 2.39 und 2.46 vergingen sehr viele Monate und auch bis zur aktuellen Version 2.48 gab es einen großen Zeitabstand. Zuletzt gaben die Entwickler bekannt, dass die kommenden Releases erneut weit verschoben werden mussten (aktuell ging es um SeaMonkey 2.49.1) und man vorerst nur Sicherheitsupdates zurückportieren wird, wenn es notwendig sein sollte. Auch die Zukunft des Projekts an sich steht aktuell auf der Kippe, weil die Entwickler selber noch keine vollständige Vision davon haben und auch wichtige Themen wie die Migration der kompletten Infrastruktur erst noch anstehen. Über entsprechende Entscheidungen will das Team weiterhin informieren, eine einfache Adaptierung der Mozilla-Technologien kommt aber nicht (mehr) in Frage.

Thunderbird
Während Thunderbird auch in Zukunft unter dem Dach von Mozilla bleiben darf, musste der Thunderbird Council als steuerndes Gremium für die Entwicklung von Thunderbird auch versichern, dass der Mailclient mit seiner Codebasis die Entwicklung von Firefox nicht behindern darf und sich beide Projekte hier zunehmend trennen müssen. Auch wenn die Entwickler noch keine genauen Ankündigungen gemacht haben, lässt sich bei einem Blick auf die Mailingliste erkennen, dass höchstwahrscheinlich eine komplette Neuentwicklung auf Basis von Electron angestrebt wird. Thunderbird wird also seine jetzige Basis komplett ablegen und statt über ein Addonsystem sollen Erweiterungen dann, ähnlich wie bei Linux, über Packages mit dem Paketmanager npm installiert werden. Zuletzt wurde es auf der Mailingliste aber sehr ruhig. Wo das Team hier genau steht, ist völlig offen. Die Entwicklung ist momentan bis Thunderbird 52.8 absehbar, welche im Mai erscheinen dürfte.

Instantbird
Über den Multimessenger auf Basis von Gecko und der libpurple-Bibliothek, die ursprünglich von Pidgin stammt, gab es in den letzten Jahren fast keine Nachrichten mehr. Die aktuelle Version 1.5 stammt vom 20. Dezember 2013, seitdem wurde zwar an Version 1.6 (zunächst) gearbeitet, allerdings sind die meisten Buildserver (allen voran der für Windows) schon sehr lange kaputt und hier gab es bislang auch keine Bestrebungen, das zu fixen. Pikant daran, ob das Projekt nun tot ist oder nicht, ist vor allem, dass der Tor Messenger auf Instantbird basiert und hier damit ein großes Projekt ein Interesse daran hat, dass die Basis weiterentwickelt wird. Im Bugzilla gab es hierbei aber nur noch sehr vereinzelt mal kleine Patches, eine wirkliche Weiterentwicklung fand nicht mehr statt. Wann und ob wir hier ein Statement seitens der Entwickler bekommen, ist damit völlig unklar. Die entsprechende Mailingliste ist seit über einem Jahr quasi verwaist.

Und was bedeutet das jetzt?

Grundsätzlich kann ich euch, sofern ihr den weiteren Weg von Mozilla aus diversen Gründen nicht mehr mitgehen wollt, die Entscheidung nicht abnehmen, wenn für euch Microsoft Edge oder ein Chromium-Browser nichts ist. Meine persönliche Entscheidung habe ich dabei schon vor einiger Zeit getroffen, dass es für mich nicht ansatzweise einen Grund gibt, Firefox den Rücken zu kehren, und ich würde, das sage ich ganz offen, auch jedem dazu raten, bei Firefox zu bleiben. Abseits der WebExtensions, wo ich durchaus verstehen kann, dass nicht alle damit einverstanden sind (die aber nunmal zwingend notwendig waren), kommen alleine am Unterbau wirklich ganz massive Verbesserungen im Bereich der Sicherheit und vor allem der Performance auf die Nutzer zu, die ein Update definitiv rechtfertigen. Außerdem sollte eigentlich jeder einsehen, dass man sich auch selber immer weiterentwickeln und gewisse Arbeitsabläufe auch immer mal wieder überdenken sollte, ob es nicht doch besser geht. EyeCandy ist eben nicht immer alles.

Müsste ich die Browserfrage vor dem Kontext aber ganz neutral beantworten, würde meine Empfehlung ganz klar zu Waterfox neigen. SeaMonkey, das sieht sicherlich jeder, ist in der jetzigen Verfassung ein sehr instabiles Projekt und auch ein Risiko, wenn man zumindest mittelfristig eine sichere Versorgung mit Updates haben möchte. Vergleicht man Pale Moon und Waterfox miteinander, mag Pale Moon auf den ersten Blick das Projekt mit der besseren Zukunftsvision sein, bringt aber auch viele Haken mit. Goanna als Engine, die sich mittlerweile in der Versionsreihe 3.x bewegt, ist gegenüber Gecko (ich rede nicht von Quantum, sondern vom Stand von Firefox 56) hoffnungslos unterlegen und gegenüber allen Engines hoffnungslos veraltet. Oder anders gesagt: Für die Herausforderungen des modernen Webs ist Pale Moon, was die Kompatibilität mit den ganz normalen Webstandards betrifft, die jeder Browser können MUSS, absolut untauglich. Außerdem habe ich nicht gerade viel Vertrauen darin, dass die Entwickler ein so großes Vorhaben wie Project Basilisk überhaupt stemmen können. Sie sind bei Goanna ja schon einmal mit großen Ankündigungen angetreten. Heraus gekommen ist ein stark veraltetes Wrack und wegen Ressourcenmangels mussten immer mehr Projekte zuletzt eingestampft werden.

Waterfox bietet hingegen die deutlich bessere Engine und ihr werdet für die kommende Zeit auf jeden Fall mit Sicherheitsupdates versorgt. Die dumme Idee, die Updatefunktion zu deaktivieren, müsst ihr also nicht umsetzen. Hinzu kommt, dass ihr weiterhin die normale Syncfunktion von Firefox nutzen könnt und eine Version für Android ebenfalls offiziell verfügbar ist. Nicht zuletzt profitiert Waterfox auch weiterhin von allen Verbesserungen, die Firefox bis dahin bekommen hat und über die Pale Moon nicht ansatzweise verfügt. Dazu gehört unter anderem auch die Multiprozess-Architektur Electrolysis.

Was Thunderbird und Instantbird angeht, solltet ihr, sofern ihr einen der beiden noch einsetzt, besser auf eine andere Alternative umsatteln. Das Gleiche gilt unter Umständen auch für den Mailclient Postbox, der auf Thunderbird basiert und wo die Entwickler auch noch keinen klaren Zeitplan verkündet haben, wie es weitergeht. Sollte Thunderbird auf Basis von Electron neu entwickelt werden, sehe ich das ohnehin eher skeptisch. Ich habe bereits andere Mailclients auf der Basis erlebt und die Umsetzung war selbst bei den besten, die Thunderbird in etwa gleichwertig waren (Nylas zum Beispiel), eher mau und fehlerbehaftet. Das muss natürlich nicht für alle Projekte gelten, aber gerade das, was aus der OpenSource-Community kam, war in der Hinsicht nicht besonders gelungen oder sauber programmiert.

So oder so: Eine finale Entscheidung, wie es für euch weitergehen soll, solltet ihr am Besten bis Ende April treffen. So lange geht in etwa die Schonfrist, bis auch Mozilla die ESR-Version von Firefox auf die neue Basis umstellt. Wenn ihr die Basis vielleicht ganz wechseln möchtet und einen Browser für Poweruser sucht, wäre ggf. auch noch Vivaldi einen Blick wert. Ganz aktuell hat sich das Team in der vergangenen Woche in Island getroffen, um größere Features wie den Sync auf die Zielgerade zu kriegen. Ein Release davon ist wohl nicht mehr allzu weit entfernt.

 

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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