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Geh aus dem Weg, Microsoft, ich muss arbeiten!

Geh aus dem Weg, Microsoft, ich muss arbeiten!

Windows ist seit der mobilen Revolution nicht mehr das Betriebssystem, um das sich die ganze Welt dreht. Im Gegenteil, obwohl es auf dem Desktop nach wie vor die unangefochtene Nummer 1 ist, erhält es vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Microsoft ist bemüht, das zu ändern, und zerstört dabei die Kernkompetenz, für die Windows immer stand: Produktivität.

Vor einigen Jahren hatte ich die Gelegenheit, bei einer Medienveranstaltung im kleinen Kreis Panos Panay zu treffen. Damals war er nur für Surface verantwortlich, inzwischen untersteht ihm bekanntermaßen auch Windows. Als er über die mitgebrachten Surface-Geräte und die Arbeit mit diesen sprach, sagte er einen Satz, den ich zunächst nicht verstand: „The device has to disappear“ – „Das Gerät muss verschwinden“.

Damit beschrieb Panos in der ihm eigenen Art den Idealzustand, den man bei der Arbeit erreicht: Nutzer, Hardware und Software werden eins, man erledigt einfach seine Arbeit, die Hardware drängt sich nicht in den Vordergrund, man taucht sozusagen in ein Gesamterlebnis ein.

Im zweiten Anlauf habe ich es verstanden, so ganz zustimmen kann ich aber bis heute nicht. Wenn ich beispielsweise auf einer exzellenten Tastatur schreibe, dann nehme ich das ganz bewusst wahr und genieße es. Umgekehrt wird allerdings ein Schuh draus: Hardware sollte nicht stören, eine „klapprige“ Tastatur behindert meinen Schreib- und Gedankenfluss enorm.

„Nicht stören“ ist auch genau das, was man von seinem Betriebssystem erwarten sollte. Wenn Panos heute den Satz „The OS has to disappear“ sagen würde, dann wäre ihm meine Zustimmung gewiss. Und er hätte zugleich erkannt, woran ganz dringend gearbeitet werden muss.

Windows ist ein Betriebssystem. Es hat dafür zu sorgen, dass ich meinen Desktop sehe und meine Hardware funktioniert, und es soll die Programme für mich starten, die ich benutzen will. Ansonsten hat es sich im Hintergrund zu halten. Gleiches gilt für die Programme, mit denen ich meine Arbeit erledigen möchte. Ihr Job ist es, zügig zu starten und mich mit der Arbeit beginnen zu lassen.

Wie sieht die Realität aus? Windows nervt mich täglich mit Hinweisen auf tolle Funktionen, die ich dringend ausprobieren sollte. Und was noch schlimmer ist: Es legt mir Produkte nahe, die ich bereits nutze.

In unregelmäßigen Abständen erscheint beim Hochfahren ein Vollbild-Hinweis, der mich auffordert, die „Einrichtung meines PC abzuschließen“:

Second Chance Out of Box Experience

„Nutzen Sie OneDrive!“

Mache ich bereits.

„Verwenden Sie Microsoft Edge!“

Das ist mein Standardbrowser.

„Erreichen Sie mehr mit einem Microsoft 365 Abonnement!“

Habe ich

„Verknüpfen Sie Ihr Smartphone mit dem PC!“

Längst erledigt

„Melden Sie sich mit Windows Hello an!“

Ja, auch das mache ich.

Nicht nur, dass Microsoft meint, Windows-Nutzer mit diesem Unsinn nerven zu müssen, sie sind auch noch zu doof, um zu merken, wenn man ihnen so wie ich quasi bereits seine Seele verkauft hat.

Dieser vollflächige Dialog hat sogar einen offiziellen Namen: „Second Chance out of Box Experience“. Wer bei der Einrichtung seines PC versagt hat, soll gnädigerweise noch eine zweite Chance bekommen. Wenn es denn nur bei dieser bliebe…

Es ist, wie bereits erwähnt, nicht nur Windows.

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Microsoft Teams Nagscreen mit Emojis

Schnell mal E-Mails checken? Aber nicht doch! Kennen Sie schon To Do? (Ihr ahnt es bereits: Das ist meine Standard-Aufgabenverwaltung).

Hinweis auf To Do in Outlook

Ok, ich gebe auf und gehe ein wenig im Internet surfen. Ich starte meinen Standardbrowser Edge, und es geht weiter: „Verwenden Sie die von Microsoft empfohlenen Browsereinstellungen.“

Microsoft Edge will Standardeinstellungen anwenden

Microsoft Edge ist mein Standardbrowser, Bing meine Standardsuchmaschine. Was zur Hölle wollt Ihr eigentlich noch von mir?

Das waren nur ein paar Beispiele. Wer selbst Windows nutzt, kennt all das und noch mehr. Statt mich bestmöglich bei meiner Arbeit zu unterstützen, stellt sich mir Microsoft mit seinen Produkten ständig in den Weg und hindert mich an dem, was ich eigentlich tun will.

Da ist es auch nur ein schwacher Trost, dass andere Firmen nicht weniger aufdringlich sind. Heute Morgen wollte ich auf dem Google Pixel 7 einen Timer starten. Ging nicht, der Hinweis „Das können sie auch per Sprache erledigen“ überlagerte die Schaltflächen. Einziger Ausweg aus der Blockade war, auf „Jetzt ausprobieren“ zu tippen.

Hoffnung auf Besserung habe ich nicht. Lächle und sei froh, es könnte schlimmer kommen. Und ich lächelte und war froh, und es kam schlimmer.

Manchmal – aber nur manchmal – denke ich wehmütig an die Zeit von Wählscheibentelefon, Eieruhr, Bleistift und Papier zurück. Da konnte man noch ungestört produktiv sein.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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