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Kallisto: Ein Blick in meine digitale Skillsbox

Kallisto: Ein Blick in meine digitale Skillsbox

Vor einigen Tagen habe ich einen längeren Beitrag darüber veröffentlicht, wie meine Migration zu Windows 11 verlaufen ist und welche konkreten Änderungen ich bei den Apps vorgenommen habe, die ich nutze. Nachdem dieser Beitrag noch eher allgemeiner Natur war, bietet es eine gute Gelegenheit dafür, noch einen Schritt weiter zu gehen und euch mal einen Blick hinter die Kulissen zu gewähren, wie ich Software eigentlich im Umgang mit meiner mentalen Gesundheit nutze. Sowas nennt man im analogen Umfeld auch eine Skillsbox.

Was ich benutze, werdet ihr in den allermeisten Fällen kennen, aber im Hinblick auf die Coping-Strategien ist alles so gestaltet, dass es speziell auf meine Bedürfnisse zugeschnitten ist. In der sozialpsychiatrischen Assistenz sprechen wir da auch oft von der strukturellen Sicherheit und dem Grundprinzip der Steuerung. Meine Agoraphobie mit Panikstörung spielt im digitalen Umfeld eine eher untergeordnete Rolle, dafür geht es umso mehr darum, meine Hochsensibilität und meine Hochleistungsbirne inkl. fotografischem Gedächtnis im Zaum zu halten.

Wenn ihr für euch also nichts bzw. kaum etwas ableiten könnt oder das Ganze hier als bürokratisches Monster empfindet, macht euch bitte keinen Kopf. Mir ist bewusst, dass viele Menschen nur schwer nachvollziehen können, wie ich durch meine Welt navigiere. Ich werde auch versuchen, das hier in einfachen Worten so gut wie möglich zu erklären. Habt für den Moment einfach im Hinterkopf, dass ich für mich einen Mittelweg zwischen Leben am Limit und totaler Vermeidung, was eben Steuerung bedeutet, finden muss und dass diese Mechanismen deswegen existieren, damit ich Sachen wie einem Crash vorbeugen kann. Näheres dazu an den entsprechenden Stellen.

Das Framework

Wenn man mit solchen Eigenarten wie ich leben muss, lernt man sehr schnell, dass es keine einfachen Lösungen gibt und etwaige Strategien sehr individuell ausfallen müssen. Deswegen lerne ich viel durch Beobachtungen aus anderen Bereichen und schaue, was ich für meine Lebenssituation konkret daraus lernen und ableiten kann. Kallisto ist jetzt mittlerweile weit über zehn Jahre alt und hat von mir auch ganz bewusst einen Namen bekommen, damit es kein abstraktes Etwas ist. Der Name selbst kommt von einem der großen Monde des Jupiter und hat mit die meisten Krater in unserem Sonnensystem – eine für mein Leben mit der Angststörung durchaus passende Analogie.

Die Anlehnung, wie Kallisto funktioniert, kommt tatsächlich aus der Softwareentwicklung und ähnelt in seiner heutigen Fassung einer Mischung aus den Insider-Programmen und Microsoft 365, wie ihr es kennt. Prinzipiell arbeite ich mit einem Production Ring, wo die aktuelle Alltagsfassung verwendet wird, und einem Release Preview Ring, wo ich an Lösungen für Probleme arbeite, die mir aufgefallen sind, oder Sachen ganz neu integriere. Daneben gibt es eine feste Sammlung von Core-Apps, die für ihren Zweck handverlesen sind und von weiteren Apps flexibel ergänzt werden. Dass Kallisto ansonsten explizit als Framework und nicht nur als reine Organisationsstruktur konzipiert wurde, hat ebenfalls gute Gründe.

Damit die strukturelle Sicherheit gewährleistet werden kann, wollte ich in der Lage sein, neue Sachen flexibel zu adaptieren. Wenn es keine besonderen Anlässe gibt, liegen zwischen zwei Durchläufen – aktuell wäre Kallisto 25.2 vom Juni 2025, an Kallisto 26.0 arbeite ich gerade – etwa fünf Monate. Bei akuten Situationen, wie das zum Beispiel 2020 mit der Informationsflut zu Corona der Fall war, wollte ich zur Regulierung aber auch zu schnellen Skalierungen fähig sein. Damals ist aus zahlreichen Akutmaßnahmen der Krisenmechanismus entstanden, über den ich hier auch in kleinen Ansätzen geschrieben, später aufgrund fehlender Nachhaltigkeit aber auch Lehrgeld bezahlt habe. Kallisto hat sich seit damals stark verändert, weil privat massive Einschnitte eingetreten sind, und auch beim Krisenmechanismus wird mit dem nächsten Durchlauf die Umwandlung in ein Regelverfahren zur Reizkontrolle abgeschlossen.

Was allerdings bis heute geblieben ist, ist eine mögliche Auslagerung in eigene Branches, wie man das in der Entwicklung etwa von Git kennt und von mir dann genutzt wird, wenn etwas vor einer festen Integration in die Abläufe von Kallisto erstmal eigene Übergangslösungen braucht. Dr. Windows war einer dieser Fälle, wo ich das zuerst gesondert organisiert habe, während es heute fest eingebunden ist. Ansonsten werden über Kallisto noch einige kleine Sachen mit geregelt, darunter die Ausgabenkontrolle oder das Versionsmanagement, also die Pflege der Software.

Reizkontrolle

Was die Umwandlung des Krisenmechanismus in ein neues Regelverfahren zur Reizkontrolle betrifft, war der ganze Prozess keine leichte Aufgabe. Während man für den eigenen Nachwuchs einfach eine Kindersicherung installieren und die Systeme mit passenden Suchmaschinen etc. vorbereiten würde, käme das bei einem Erwachsenen unabhängig von der allgemeinen Bewertung eines solchen Schrittes in dem Alter schlicht einem Vermeidungsverhalten gleich, was weder förderlich noch erlaubt wäre. Gewählt hätte ich es ohnehin nicht.

Dennoch müssen die einzelnen Maßnahmen erreichen, dass im Rahmen der strukturellen Sicherheit nachhaltig der bestmögliche Effekt erzielt wird und man möglichst auf weitere Akutmaßnahmen verzichten könnte. Mein Vorteil ist, dass ich nicht nur meine Eigenarten kenne, sondern auch über umfassendes Wissen verfüge, mit dem ich dem Ganzen technisch begegnen kann. Entsprechend ist das neue Verfahren jetzt ausgestaltet worden, dessen Umsetzung mit dem nächsten Durchlauf noch dieses Jahr abgeschlossen werden soll:

  • Der Informationsfluss ist sehr restriktiv gestaltet. Ich verwende selbst keine dezidierten Nachrichten-Apps und auch Funktionen wie Google Discover unter Android oder der MSN-Feed von Microsoft in den entsprechenden Stellen sind deaktiviert. Auch die sozialen Netzwerke und Benachrichtigungen habe ich stark runtergefahren, Vergleichbares kann man auch beim Rundfunk ansetzen. Natürlich lese ich Nachrichten, aber so kann ich Clickbait und etwaigen Newsaggregatoren besser aus dem Weg gehen. Zudem ist RSS, was ich während Corona gerne genutzt habe, auch weiterhin verfügbar.
  • Bei Recherchen sollen alle Informationen künftig bei Vivaldi unter einem Dach zusammenlaufen. Der Browser ist als integrierte Suite hierfür ideal, weil er neben klassischen Funktionen auch sowas wie Notizen, RSS, E-Mail oder das Dashboard bündelt. Die Frage wird noch sein, welche Konsequenzen das für Brave und Thunderbird hätte. Momentan haben die beiden die Nasen vorn, aber gerade bei Brave war das ein enges Rennen. Wenn Vivaldi kommt, der als isländisch-norwegisches Projekt zudem noch den Vorteil einer europäischen Software hat, wird zumindest Brave obsolet.
  • Die Suche wird auf eine neue Basis gestellt. Alle Browser werden ausnahmslos mit Ecosia aus Deutschland als neuer Standardsuchmaschine ausgestattet und Google rückt ganz bewusst so in den Hintergrund, dass die Nutzung etwas unangenehmer und umständlicher wird – ein Griff in die psychologische Trickkiste. Zweitens wird der KI-Einsatz auf zwei Beine gestellt, sodass neben Le Chat von Mistral AI aus Frankreich voraussichtlich Copilot zurück kommt. Es macht einfach keinen Sinn, ChatGPT direkt zu verwenden, wenn Copilot mit seiner besseren Integration auch darauf basiert. Drittens wird Firefox mit seiner Keywordsuche wieder entsprechend aufgerüstet. Nicht zuletzt wegen dem OpenSearch-Standard kann ich quasi jede Suche, die ich möchte, direkt in Firefox integrieren und seriöse Quellen aus erster Hand mit einem Shortcut verfügbar machen, sodass man sich den Umweg über klassische Suchmaschinen oder KI erspart.
  • Ich mache stärker von Progressive Web Apps Gebrauch, besonders wenn es keine native Windows-App gibt. Das ist immer noch nicht die schönste Lösung, sorgt aber dafür, dass ich für sowas wie YouTube dann nicht zwingend einen ganzen Browser starten muss.
  • Tastatur- und Gestensteuerung sollen verstärkt zum Einsatz kommen. Windows bietet hier schon gute Möglichkeiten und auch Apps wie Browser kann man etwa mit den Mausgesten entsprechend ausstatten. Aus diesem Grund waren auch die PowerToys im erneuten Test, wo Microsoft selbst nochmal zusätzliche Möglichkeiten eröffnet. Die Idee dahinter ist, dass die eigentlichen Kontaktzeiten mit Inhalten verkürzt werden und man notwendige Punkte schneller erledigen kann.
  • Die Organisation wird schwerpunktmäßig in eine analoge Komponente verlagert und dem Digitalen soll eher eine unterstützende Rolle zukommen. Diesen Punkt wollte ich schon lange angehen und grundlegende Sachen in ein Bullet Journal auslagern, weil das für meine Birne einfach besser ist. Gleichzeitig bietet ein Bullet Journal ein vergleichbares System wie im Digitalen, was ich individuell gestalten und auf mich zuschneiden kann.
  • Notwendige Informationen werden, wo immer das möglich ist, direkter bezogen. Damit sind vor allem Apps wie NINA vom BBK gemeint und entsprechen damit einem ähnlichen Vorgehen wie bei der Suche.
  • Irgendwann in der näheren Zukunft sollen neue Overear-Kopfhörer mit Noise Cancelling hier einziehen. Gerade bei Gewitter, wenn es draußen lauter donnert, habe ich zwar keine Angst, aber ich verkrieche mich dann doch in ein Zimmer, wo ich das Getöse nicht so mitbekommen muss und während dessen mit dem Discman Musik höre. In der Assistenz kam die Idee auf, dass man diesen Umstand auch produktiver umsetzen könnte, wenn ich das zusammen mit Windows 11 dann etwa für Dr. Windows verwenden und während dem Gewitter über Spotify Musik oder einen Podcast hören kann. Ausprobiert hatte ich das schon mit normalen Kopfhörern, wobei es reizvoll wäre, das auch mit den Fokussitzungen und der Spotify-Integration in Windows 11 zu kombinieren.

Theoretisch gibt es noch weitere Maßnahmen, die ich ergreifen könnte, die aber nicht in meinem alleinigen Einflussbereich liegen. Eine Idee ist, eine zusätzliche Sicherheit auf Netzwerkebene einzuziehen, indem man spezifische Seiten zum Beispiel in der FritzBox sperrt und das gleichzeitig mit einem zusätzlichen Projekt wie Technitium kombiniert, mit dem man zusätzlich Tracker und dergleichen rausfiltern kann. Auch bei den technischen Hilfsmitteln gäbe es Möglichkeiten wie die Telepräsenzrobotik, die auf längeren Distanzen zwar eine Teilnahme trotz stark eingeschränkter Mobilität ermöglichen kann, aber eben auch relativ teuer ist. Das muss man eben sehen, wie und ob das klappen würde, das zu bekommen.

Die Schriftrolle

Für meine längeren Beiträge bin ich hier ja schon seit Jahren bekannt, aber tatsächlich reicht dieses Phänomen bis in meine Kindheit zurück. Kreativ und konzeptionell habe ich meine Gedanken mit Ausnahme von Gedichten im kreativen Bereich immer in längeren Texten zu Papier gebracht und diese Strategie setzt sich bis zum heutigen Tag fort. Entsprechend sollte es nicht verwundern, dass Aufgabenlisten wie Microsoft To Do bei mir nicht funktioniert haben und stattdessen zwei altbekannte Programme aus meinem heutigen Arsenal seit sehr vielen Jahren nicht weg zu denken sind: Word und OneNote.

Während OneNote heute mehr oder weniger das Zentrum von Kallisto bildet und alle Planungen und Informationen zusammenführt, hat Word als dienstältestes Programm, was bei mir immer noch im Einsatz ist, mittlerweile eine andere Aufgabe. Früher habe ich für ablenkungsfreies Schreiben immer gerne Markdown eingesetzt, aber nachdem die Entwicklung von HarooPad eingestellt wurde und gleiche von Ghostwriter für Windows stottert, habe ich keinen neuen Editor für mich gefunden, der sich nicht auf Entwicklung oder Notizverwaltung konzentriert. Gerade mit seinem Fokusmodus hat Word diese Funktion, nachdem es das regulär auch in den frühen Jahren bereits übernommen hat, seit einigen Jahren nun geerbt.

Selbst in sich geschlossene Produktivsysteme wie Notion, was gerade während Corona einen ziemlichen Hype erlebte, konnten diese Phalanx bei mir nicht aufbrechen, und selbst Microsofts eigener Vorstoß Loop hat bei mir keinen Bedarf für Veränderungen geweckt. Wichtig bleibt allerdings eine begleitende Visualisierung, wo ich gerne mit einem passenden Color Coding arbeite. Gerade Programme wie OneNote und Sticky Notes, begleitet von einem aufbereiteten Kalender, bieten hier nachweislich sehr gute Möglichkeiten.

Man kann hier noch mehr machen, wo ich in der Assistenz zum Beispiel auch schon über Microsoft Journal gesprochen habe. Wenn man etwas von Hand aufschreiben muss, egal ob analog oder digital, wird man die Gedanken nochmal ganz anders los. Momentan suche ich auch noch nach neuen Programmen, um Mindmaps und andere Diagramme zu erstellen, aber mit den meisten Apps bin ich da noch nicht richtig warm geworden.

Künstliche Intelligenz

Das ist ein Thema, was nicht nur viel gesellschaftlichen Sprengstoff birgt, sondern auch nach einer differenzierten Betrachtung verlangt. Einerseits gibt es die technische Ebene, wo es um konkrete KI-unterstützte Funktionen etwa bei Übersetzungen oder der Bildbearbeitung geht, und die für sich unproblematisch ist. Dagegen gleicht die algorithmische Ebene für Menschen mit bestimmten Angststörungen, einer Depression, Borderline, Essstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen erstmal einer Bedrohung, die gegenüber früheren Ereignissen wie Pro-Ana nochmal andere Gefahren mit sich bringt. Das kann man auch an verschiedenen Beispielen festmachen.

Aus dem Silicon Valley ist schon lange bekannt, dass die Größen, die zuvor in Sprachrohre für ihre eigenen Ziele investiert haben – Peter Thiel bei Facebook, Elon Musk bei Twitter, Jeff Bezos bei der Washington Post -, nun massiv Geld in KI pumpen – Peter Thiel bei Palantir, Elon Musk bei xAI, Sam Altman bei OpenAI – und so den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen wollen. Was in den USA nichts Besonderes ist, erleben wir im kleineren Maße auch in Deutschland. Die Pläne von Axel Springer beim reinen KI-Journalismus sind lange bekannt und haben vor wenigen Wochen nochmal richtig an Fahrt aufgenommen. Aber auch sonst sehen wir Trends wie die neuen KI-Influencer oder erleben den Einsatz (Video) bei psychischen Situationen, wo sie nicht als digitale Gesundheitsanwendungen zugelassen sind. Bei letzterem hatte man sich ja auch bei Microsoft zu einer komplett dummen Aussage hinreißen lassen, obwohl man mit Tay indirekt schon ein gebranntes Kind ist.

Irgendwie müssen Menschen mit einer psychischen Erkrankung aber trotzdem mit der neuen KI-Offensive umgehen – alles andere wäre Vermeidung und würde schlimmstenfalls die Macht von Filterblasen, Echokammern und ähnlichen Konstrukten weiter verstärken. Entsprechend habe ich mich auch lange damit beschäftigt, wie ich mit dieser algorithmischen Ebene umgehen soll und wie sich das gerade bei den KI-Assistenten auswirken wird. Dass Le Chat von Mistral AI aus Frankreich als europäische Säule gesetzt ist, war klar, aber international trieb mich die Frage, ob ich bei Copilot bleiben soll oder, was bis jetzt noch testweise der Fall ist, direkt ChatGPT einsetze, immer noch um. Dass die Tendenz doch eher zu Copilot selbst geht, habt ihr weiter oben ja schon gelesen.

Die einfache Antwort ist, dass es keine guten Lösungen gibt, Copilot aber einen kleinen Unterschied machen kann. Vom Frontend her macht es keinen Unterschied, ob man ChatGPT direkt oder einen Assistenten wie Aria von Opera, Leo von Brave oder eben Microsoft Copilot verwendet, der noch darauf basiert. Neben der bessere Integration in „mein“ Ökosystem muss man Microsoft aber zugute halten, dass sie eine weitreichende Kontrolle ermöglichen und an alternativen KI-Modellen arbeiten, von denen einige wie die Phi-Familie auch Open Source sind. Außerdem kennen wir Microsoft als Unternehmen gut genug, um sie und ihre Pläne im Kontext einschätzen zu können.

Einen begrenzten Einsatz von Copilot in diesem Bereich könnte ich vor diesem Hintergrund für mich eigentlich verantworten, werde mich aber nicht alleine darauf verlassen. Deswegen habe ich zusätzliche „Checks and Balances“ eingezogen, indem es weiterhin eine klassische Suchmaschine für alle Browser (aber aus Europa) gibt, mit Mistral AI ein zweiter Entwickler aus Europa zur Verfügung steht und die Umgebung etwa mit Firefox entsprechend gestaltet wird.

Selbstwirksamkeit

Eine Skillsbox ist in der Psychotherapie ein übliches Standardverfahren und dass ich mit Kallisto ein ungefähres Äquivalent für mich im digitalen Raum schaffen wollte, hat auch mit meinen Eigenarten zu tun. Die Agoraphobie spielt hier insofern mit rein, dass die Digitalisierung bei mir der sozialen Isolation durch meine Erkrankung ein Stück weit entgegenwirkt und letztlich mein Draht in die Außenwelt ist, um Sachen eigenständig erledigen zu können. Sie ist aber ausdrücklich kein Ersatz für echte soziale Kontakte und das würde auch in die völlig falsche Richtung gehen, wenn man Themen wie Einsamkeit so angehen würde. Das wichtigere Thema bleibt aber die Reizkontrolle mit meiner Hochleistungsbirne.

Dass man teils etwas mehr kann als der Durchschnitt, ist schön. Dass ich mit längeren Texten förmlich jonglieren oder viel Wissen aus dem Stehgreif wie aus einer großen Datenbank abrufen kann, ist für euch ja nichts Neues mehr. Über weiten Strecken bin ich auch nicht auf eine Suchmaschine oder einen Assistenten wie Copilot angewiesen, weil ich das Wissen in relativ kurzer Zeit über entsprechende Literatur, Fachvorträge, Beobachtung und ähnliches meistens selbst aufbaue. Was viele aber nicht sehen (wollen), sind die Schattenseiten. Einerseits hat die Agoraphobie hier eine größere Angriffsfläche und macht mich anfälliger für ein unkontrolliertes Flooding, was mich auch in meine heutige Situation gebracht hat, zum anderen kann das bei mir auch zu einem Crash führen, dass ich nur noch zitternd und weinend in der Ecke liege und der Rest des Tages für mich dann gelaufen ist. Gerade Corona war über die Medien hier nicht ohne. Wenn man mir in echt gegenüber sitzt, sieht man auch so sehr schnell, wann und wie mein Kopf arbeitet und dass ich auch mein Nervensystem reguliere.

Dem zu begegnen, gleicht teilweise einer Graswurzelbewegung, weil schon kleine Dinge, etwa wie du dich kleidest oder deine Wohnung eingerichtet hast, psychologisch einen Unterschied machen können. Das ist auch mit dem Grundprinzip der Steuerung gemeint, was ich in einer früheren Therapie, wo ich das Ganze schon mal erheblich zurückdrängen konnte, gelernt habe: „Fokussiere alle Energie, die du hast, auf die Bereiche, die du wirklich beeinflussen kannst, und konzentriere die Bemühungen in diesen Bereichen auf kleinere Etappenziele auf dem Weg zum größeren.“

Nichts anderes mache ich letztlich im Digitalen. Euch dürfte beim Lesen mittlerweile aufgefallen sein, dass hier oft von Microsoft die Rede gewesen ist, und tatsächlich hat meine Affinität zu Microsoft, dass ich dieses Ökosystem gegenüber denen von Apple oder Google bevorzuge, hier ihren Ursprung. Meine Setups habe ich schon immer nach dem Dreiklang „Microsoft + Open Source + X“ gestaltet, allerdings hat sich das bisher eher flexible X mittlerweile sehr zugunsten von europäischen Lösungen verschoben.

Letztlich möchte ich mit diesem Abschnitt nochmal zeigen, dass jeder Mensch am Ende individuelle Bedürfnisse und Voraussetzungen hat, wie und warum er seine IT so einrichtet, wie er sie einrichtet. Natürlich gibt es tiefrote Linien, wo man keine Unterstützung gewähren sollte, wenn der Betroffene wohlwissend und mutwillig Blödsinn mit seinem System anstellt und es dadurch auch noch zerschießt, aber ein Missionieren, wie wir es aus bestimmten Communities kennen, oder Ratschläge ohne das Bewusstsein, dass wir als Techies eben die Minderheit sind und die große Mehrheit zumindest nicht in der Form das technische Wissen hat, dass sie ohne weitere Anleitung klarkommen würden, helfen auch nicht weiter. Auch diese Sätze kennt ihr von mir ja zu Genüge.

Schlusswort

Kallisto ist am Ende ein Werkzeug zur Mitigation und ich kann ein Restrisiko, dass irgendwann doch nochmal ein Trigger durchkommt, für mich nie völlig beseitigen. Durch konstante Weiterentwicklung kann ich aber dafür sorgen, dass ich mir ein digitales Umfeld schaffe, was in der Hinsicht so sicher wie möglich gestaltet ist, ohne dass ich auf den Schritt von der Komfortzone in die Wachstumszone verzichten muss. Die Auslegung als Framework funktioniert für mich persönlich sehr gut, andere werden das auch anders machen. Außerdem ist Kallisto letztlich nur das digitale Pendant dessen, über was wir im Rahmen der Assistenz auch im normalen Leben sprechen – auch hier lerne ich viel durch Ableitungen aus anderen Bereichen und es wird sehr offen und ohne Denkverbote über die Coping-Strategien in diesem Bereich gesprochen.

Vielleicht konntet ihr aus diesem – zugegebenermaßen, ich konnte das leider nicht kürzen oder aufteilen – sehr langen Text doch was für euch rausziehen. Falls ihr ansonsten Fragen habt, könnt ihr die gerne im Kommentarthread bei uns im Forum posten, da schaue ich ohnehin rein. Wenn ich die Zeit finde, habe ich mir auch vorgenommen, für einzelne Sachen, die ich in Kallisto übernommen habe und die vielleicht auch allgemein hilfreich sind, weitere Anleitungen hier im Blog zu veröffentlichen.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und für Entwickler zu berichten hat. Regelmäßige Beiträge aus meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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