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KI-Assistent und mehr: Sind neue Funktionen für Windows 10 noch sinnvoll?

KI-Assistent und mehr: Sind neue Funktionen für Windows 10 noch sinnvoll?

Es waren schon interessante Nachrichten, die von den Kollegen von Windows Central gestern verbreitet wurden. Obwohl Windows 10 in weniger als zwei Jahren sein offizielles Ende der Supports erreicht und mit Version 22H2 auch sein letztes „großes“ Funktionsupdate gesehen hat, denkt man in Redmond offenbar an einen Strategiewechsel, der nicht nur die Integration von Copilot beinhalten soll. Neben weiteren ausgewählten Funktionen ist auch eine längere Unterstützung mittlerweile denkbar. Macht das Sinn?

Betrachtet man das Vorhaben nur von der wohl kommenden Integration von Copilot aus, muss man diesem Gedanken jedenfalls zustimmen. Das Thema Künstliche Intelligenz hat bei Microsoft mittlerweile Azure und Teams als das neue Kernthema abgelöst, was die Redmonder jetzt als Herzensangelegenheit auserkoren haben und nun einbringen wollen, wo es nur geht. Geht man dann noch an die Nutzerzahlen, kann Windows 11 mit seinen rund 400 Millionen Nutzern mit der Milliarde, die Windows 10 immer noch vorweisen kann, nicht mithalten. Neben der schieren Marktmacht dürften aber noch andere Gedanken eine Rolle spielen, die nicht nur mit KI zu tun haben.

Verschossenes Pulver

Wenn man Windows 10 als den großen Bruder von Windows 11 bezeichnen würde, liegt man damit alles andere als falsch. Persönlich verwende ich im Forum auch immer gerne den Satz, Windows 11 ist das kombinierte Produkt aus den technischen Arbeiten für Windows 10 und der Benutzeroberfläche des gescheiterten Windows 10X, die Microsoft nicht wegwerfen wollte. Selbst die gestiegenen Anforderungen an die Hardware waren zum Teil schon Jahre alt, so wurde die Unterstützung von TPM 2.0 für neue OEM-Geräte bereits mit dem Windows 10 Anniversary Update (Version 1607) aus dem Jahr 2016 Pflicht, konnte aber noch deaktiviert bleiben. Trotzdem ist Windows 11 weiterhin weit davon entfernt, seinen Vorgänger einzuholen.

Am Ende rennen die Redmonder in dieser Situation nun in mehrere Probleme rein. Schon seit längerer Zeit schwächelt der PC-Markt vor sich hin, wovon Windows als das dominante Betriebssystem direkt betroffen ist. Zudem ist die Drohkulisse mit den stark gestiegenen Mindestanforderungen von Windows 11 und dem nahenden Supportende für Windows 10 zunehmend in sich zusammengebrochen und abgesehen von der Möglichkeit, die offiziellen Mindestanforderungen auf Systeme ab dem Jahr 2016 zu senken, gibt es wenig, was die Redmonder tun könnten, um sich gesichtswahrend aus der Affäre zu ziehen und die Upgrades für Windows 11 nochmal anzukurbeln. Für ein mögliches Windows 12 gibt es solche Druckmittel erst gar nicht.

Was unterm Strich bleibt, ist ein Spagat, den Microsoft nun augenscheinlich eingehen will und muss, um die Situation zu stabilisieren und wovon Windows 10 nun auch profitieren könnte. Dass eine längere Unterstützung über Oktober 2025 hinaus für alle Nutzer sinnvoll ist, steht außer Frage. Dass Windows 11 die Popularität seines Vorgängers oder noch älterer Mitglieder wie Windows XP oder Windows 7 nicht mehr erreichen wird, dürfte man als gesichert ansehen. Wie gut sich ein mögliches Windows 12 schlagen würde, ist ebenfalls nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund sind weniger als zwei Jahre Restunterstützung einfach zu wenig, egal ob Microsoft jetzt anderthalb, zwei oder drei zusätzliche Jahre für Windows 10 gewähren würde.

Das Rad wird nicht neu erfunden

Zeitgleich dürfte jeglicher Alarmismus, dass Microsoft nun nochmal zu einer großen Offensive bei Windows 10 ansetzen und mit zahlreichen Funktionen umkrempeln wird, fehl am Platz sein. Sicherlich ist die Integration von Copilot in Windows 10 eine große Neuerung und Microsoft hatte mit der neuen Umsetzung des Windows Subsystem for Linux bereits Ende vergangenen Jahres ein weiteres großes Feature von Windows 11 zu seinem Vorgänger durchgereicht. Grundsätzlich haben sich mögliche Neuerungen im späteren Leben von Windows 10 aber zunehmend daran orientiert, ob es für Unternehmen und/oder Entwickler einen Bedarf gab, es wirtschaftlich sinnvoll war oder man bei Microsoft selbst mit möglichst großen Synergien den Aufwand reduzieren und Ressourcen einsparen konnte.

Betrachtet man die Sache weiterhin aus diesem Blickwinkel, kann man relativ schnell mögliche Kandidaten ausmachen, die zu der Hand voll neuer Funktionen gehören könnten, deren Rückportierung bereits in Planung ist. Dass Microsoft selbst jetzt auch mal eine neue App zu Windows 10 bringt, hatten wir zuletzt mit Windows Backup gesehen. Mit den Neuauflagen von Notepad, Paint und dem Snipping Tool sowie dem neuen Teams Free und dem noch offenen Sprachrekorder gibt es weiterhin Apps, die in der aktuellsten Form noch nicht zu Windows 10 durchgedrungen sind. Ähnliches gilt für das Windows Subsystem for Android, und auch für Entwickler, die gerade in Unternehmen aktiv sind, wäre eine Portierung von Dev Home und der Dev Drive eine mögliche Lösung.

Dass Microsoft noch deutlicher darüber hinaus gehen würde und wir weitere Funktionen wie die Snap Layouts, im Gaming-Bereich wie AutoHDR oder kleinere Verbesserungen im File Explorer bei Windows 10 sehen werden, ist im Einzelfall zwar möglich, aber dürfte dann doch eher unwahrscheinlich sein. Unterm Strich würde Windows 10 also trotzdem Windows 10 bleiben und eine weitere symbolische Erhöhung der Versionsnummer über 22H2 hinaus wäre auch nicht notwendig.

Man muss sich Zeit kaufen

Letztlich passt ein solcher Schritt, auch wenn er sich für uns merkwürdig anhören mag, in das neue Mantra von Satya Nadella, dass sich Microsoft in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld konsequent auf Profitabilität ausrichten und zugleich in die wichtigen Zukunftsthemen für das Unternehmen investieren soll. In Sachen Profitabilität wurde zuletzt unter anderem die Strategie bei Microsoft Surface angepasst, während KI-Projekte wie Copilot bei Microsoft als große Zukunftsthemen stehen, wofür man woanders lieber etwas vorsichtiger und traditioneller herangeht. Auch das wäre nicht neu und es entspräche einer Fahrt auf Sicht, solange nicht klar ist, wie sich ein mögliches Windows 12 im Vergleich mit Windows 10 und Windows 11 schlagen würde.

Wir kennen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit, wo man in Redmond mitmal merkte, wie sehr man über das Ziel hinausgeschossen ist und eine entsprechende Korrektur oder Übergangslösung notwendig wurde. Beispielhaft möchte ich hier nur einmal die Veröffentlichung von Windows 8.1 als Korrektur des in Teilen verhassten Windows 8-Konzepts, die Rückkehr von Startmenü und Apps in Fenstern (aka Universal Apps) bei Windows 10, die Neuauflage von Microsoft Edge auf Basis von Chromium statt EdgeHTML oder die Ereignisse rund um das Surface Neo (kam gar nicht) und das Surface Duo (kam stattdessen mit Android) nennen. Am Ende steht eine Rolle rückwärts ebenso symbolisch für die Redmonder wie auch die Fettnäpfchen in der Kommunikation nach außen, die sie immer wieder zielsicher erwischen.

Schlusswort

Natürlich werden wir erst Klarheit haben, wenn Microsoft sich ganz offiziell zu dieser Sache äußert und die entsprechenden Entscheidungen verkündet werden. Klar ist jedenfalls, dass eine zeitwertgerechte Modernisierung von Windows 10 mit seiner aktuell noch vorhandenen Marktmacht einen guten Kompromiss darstellen würde, um gemeinsam mit Windows 11 vorerst andere höhere Interessen von Microsoft zu fördern. Dabei spielt das Thema Künstliche Intelligenz sicher eine Hauptrolle, aber auch das Heben aller möglichen Synergien, um letztlich Ressourcen bei beiden Betriebssystemen einzusparen, sollte man dabei nicht aus den Augen verlieren.

Dass sich Windows 10 trotzdem nochmal völlig anders anfühlen und Microsoft an zentralen Pfeilern rütteln würde, ist nahezu ausgeschlossen. Eine klare Grenze markieren die unterschiedlichen Stände von Build 19041.x und höher bei Windows 10 und Build 22000.x und höher bei Windows 11, wo nicht jede Neuerung von Windows 11 auch bei Windows 10 möglich oder sinnvoll wäre und es für die Redmonder hier ebenfalls um einen gesichtswahrenden Kompromiss gehen dürfte. Es wäre eben ein Spagat, und der endet spätestens kurz vor dem Leistenbruch.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und für Entwickler zu berichten hat. Regelmäßige Beiträge aus meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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