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Kommentar: Microsoft Edge ist besser als sein Ruf

Kommentar: Microsoft Edge ist besser als sein Ruf

Microsoft Edge ist nun seit knapp 3 Jahren der neue Standardbrowser von Windows 10 und hat seitdem durchaus gespaltene Meinungen hervorgerufen. Während die einen ihn immer wieder lobten und ihn als durchaus ausreichend für den Ottonormalnutzer ansehen, hat er bei seinen Kritikern oft direkt die Unkenrufe übernommen, die bereits dem Internet Explorer als seinem Vorgänger angelastet wurden. Seitdem wurde er beständig verbessert und bekommt mit der kommenden Windows 10-Version 1803 wieder einige neue Features spendiert.

Auch bei mir hatte Edge sehr lange keinen leichten Stand. Zwar habe ich immer wieder gesagt, dass er auch in meinen Augen für Nutzer mit geringen Ansprüchen ein sehr guter Browser ist, aber für mich war gerade seine Engine EdgeHTML immer sein großer Schwachpunkt und auch im direkten Vergleich mit Firefox, welcher seit jeher mein Lieblingsbrowser ist, war er mir als Poweruser immer zu leistungsschwach. War… denn mittlerweile muss ich diese Meinung doch deutlich(er) revidieren.

Die Vorgeschichte

Was war passiert? Nachdem es im Forum und auf Telegram immer mal wieder Gespräche zu diesem Thema gab und ich auch immer wieder gefragt wurde, was mir denn eigentlich so sehr an Microsoft Edge fehlen würde, hatte ich schon vor einigen Wochen beschlossen, meine Meinung mal zu überprüfen und mir das gesamte Spektrum an verfügbaren Browsern unter Windows genauer anzuschauen. Das Ökosystem hatte sich über die Jahre hier stark verändert. Opera stellte seine eigene Engine Presto ein, Webkit bekam zugunsten von Blink deutlich Schlagseite und Mozilla verpasste seiner Engine Gecko über das Quantum-Projekt eine gewaltige Frischzellenkur, spaltete damit aber auch vor allem die konservativen Teile seiner Community.

Microsoft wagte mit der Entwicklung von Microsoft Edge auch einen Neuanfang. Nicht nur der Internet Explorer musste seinem Nachfolger weichen, auch die bisherige Engine Trident bekam mit EdgeHTML einen Nachfolger, der bis heute mit einem zentralen Problem konfrontiert ist. Während sich Blink und Gecko alle 6-8 Wochen weiterentwickeln, braucht EdgeHTML nach derzeitigem Releaseplan immer rund 6 Monate, um einen Sprung nach vorne zu machen. Rein von den Zahlen her hatte Microsoft hier also eher schlechte Karten.

Chromium

In der heutigen Browserwelt ist unzweifelhaft Chromium das Maß der Dinge. Neben Google Chrome als dominierendem Vertreter sorgen auch Opera und mit Abstrichen Vivaldi und Yandex dafür, dass dieser Eindruck sich über die vergangenen Jahre festigen konnte. Aber auch andere Entwicklungen trugen dazu bei. Mit den Antivirus-Entwicklern hat fast eine ganze Branche Browser auf Basis von Chromium im Portfolio und auch sonst konnte sich mit Vertretern wie Iron, Iridium, Centbrowser, Kinza oder Torch eine Horde von Zwergen versammeln. Daneben existieren dann außerdem noch Browser für spezielle Einsatzbereiche wie etwa Beaker oder Ghost.

Auffallend war bei einigen der Derivate vor allem, dass sie dem aktuellen Stand von Chromium (aktuell noch 65.0) teilweise meilenweit hinterher laufen. Mal als Maßstab: Ich hatte für mich als groben Richtwert mal festgelegt, dass ein Derivat vom Unterbau her seinem Vorbild für einen begrenzten Zeitraum maximal eine Version zurückliegen darf, dann kann ich damit leben. Ein Großteil schafft dies, wirkliche Parität erreicht aber nur eine sehr, sehr kleine Gruppe, zu der unter anderem Opera und Kinza gehören.

Manche liegen aber auch hoffnungslos zurück. Iridium klammert sich zum Beispiel immer noch an Chromium 62.0, was einem Rückstand von etwa einem halben Jahr entspricht. Generell muss man aber die Frage nach dem Mehrwert stellen. Nur wenige Entwickler wie Opera oder Vivaldi machen sich wirklich die Mühe, Chromium neu zu interpretieren und sich von Chrome auch äußerlich abzuheben. Die meisten Vertreter dagegen nehmen nur die Standardoberfläche und stopfen sie mit allerhand nützlichen oder eher nutzlosen Features voll.

Gecko

Dass das Ökosystem rund um die Gecko-Engine eigentlich seit langem kaputt ist, ist an sich nichts Neues. Das sage nicht nur ich oder Leute wie der Mozilla-nahe Blogger Sören Hentzschel, auch andere wie etwa Gerrit Kruse vom datenschutz-orientierten Blog [Mer]Curius oder Mike Kuketz vom gleichnamigen Blog warnten davor, sich generell oder direkt auf Firefox bezogen auf Forks von den Browsern einzulassen. Tatsache ist, dass über die Jahre gerade beim konservativen Teil der Derivate ein wahrer Wildwuchs eingesetzt hat, der sich mit dem Release von Firefox Quantum im vergangenen November nochmal verstärkte. Der neuen Basis folgen mit Comodo IceDragon, dem Cliqz Browser oder später sicherlich auch dem Tor Browser nur noch wenige Vertreter.

Beim Großteil sieht die Realität anders aus. SeaMonkey pfeift aus dem letzten Loch und Cyberfox wird demnächst eingestellt. Waterfox macht seine Sache etwas besser, hat aber letztlich auf Gecko 56.0 eine Vollbremsung hingelegt und portiert jetzt allerhand aus Firefox Quantum (bei Waterfox 56.1 zum Beispiel die neue CSS-Engine Stylo) auf den alten Stand hinüber. Wirklich schlimm finde ich aber vor allem Pale Moon und Basilisk. Nun gebe ich gerne zu, dass ich dem Projekt grundsätzlich ablehnend gegenüber stehe, weil es stark ideologiegetrieben ist und hier mehr als alles andere eher veraltete und zum Teil riskante Technologien konserviert werden, als auf die Zukunft zu schauen. Das gilt nicht zuletzt auch für die mittlerweile eigene Engine Goanna.

Seit dem Start der Entwicklung von Basilisk sehe ich die Sachlage aber nochmal kritischer. Fairerweise will ich erwähnen, dass hier moderne Webkryptographie unterstützt wird und man auch ein paar moderne Technologien wie WebAssembly verwendet, aber zusätzlich zu den alten Kritikpunkten wie etwa dem Konservieren riskanter Altlasten wird man auch noch auf neue, sicherheitsfördernde Techniken wie die Sprache Rust, dem Signieren von Erweiterungen oder der Multiprozess-Architektur Electrolysis, die für die Stabilität von Firefox erhebliche Verbesserungen brachte, komplett verzichten. Da Pale Moon und Basilisk außerdem die alte Addon-Architektur beibehalten und mit der Universal XUL Platform extra noch konservieren, kann man außerdem ähnliche Schwächen auf diese Browser übertragen, die Ende vergangenen Jahres aus einem gemeinsam von Mozilla und Posteo in Auftrag gegebenen Audit für den Mailclient Thunderbird aufgedeckt wurden. Vor diesen Browsern und deren Verwendung kann man umso mehr also nur ausdrücklich und eindringlich warnen.

Die Erkenntnisse daraus

Neben den beiden großen Engines gibt es noch eine kleine Gruppe von Browsern, die auf der QtWebEngine aufbauen und die ich fairerweise auch nochmal anschauen wollte. Erwähnenswert sind hierbei aber nur der Otter Browser, der Qutebrowser sowie KDE Falkon (ehemals QupZilla), der nach meinem Eindruck auch der mit Abstand beste Vertreter hier ist. Allerdings kann man das Fazit hier sehr kurz halten. Als Ausweichbrowser ist Falkon einigermaßen in Ordnung, hat gegenüber den großen Vertretern aber auch deutliche Rückstände und kämpft mit einigen Bugs. Das Genick bricht ihm aber letztlich sein Unterbau. Zwar wurde die aktuelle Version 3.0 mit der aktuellsten Qt-Version 5.10.1 gebaut und verfügt damit auch über die aktuellste Version der QtWebEngine. Diese erreicht laut User Agent aber nur Parität mit Chromium 61.0 und hat damit einen Rückstand von etwa 7-8 Monaten.

Zusammenfassend kann man sagen, dass man die Browser auf Qt-Basis getrost ignorieren kann und man ausdrücklich bei Firefox bleiben sollte, wenn man einen Browser auf Gecko-Basis haben will. Alles andere lohnt sich nicht. Bei Chromium muss es zwar nicht unbedingt Chrome sein, aber man tut gut daran, sich mit dem jeweiligen Mehrwert eines Derivats zu befassen und genau darauf zu achten, welche Chromium-Basis jeweils vorliegt. Wirkliche Vorteile gegenüber Chrome bieten hier in der Regel nur wenige, allerdings gibt es hier mit Vertretern wie Opera und Vivaldi durchaus auch den einen oder anderen Leuchtturm.

Microsoft Edge

Blicke ich abschließend nochmal auf Edge, muss ich für ihn gleich in mehreren Punkten eine Lanze brechen. Microsoft hat hier im Gesamteindruck deutlich besser gearbeitet, als ich es zuvor gedacht hatte. Gerade gegenüber den Qt-Browsern, konservativen Firefox-Derivaten und auch einigen Chromium-Derivaten schneidet er bei der Performance gefühlt deutlich besser ab. Damit meine ich aber nur teilweise das Laden von Seiten, wo Edge bei mir gerade auf Seiten, die viele multimediale Inhalte einbinden (vor allem Videos), immer noch so seine Probleme hat, aber gerade beim Starten und beim Scrollverhalten war Edge deutlich angenehmer. Außerdem hat das Senden von Tabs über Continue on PC bei mir gegenüber den Lösungen von Chrome und Firefox deutlich besser und zuverlässiger funktioniert.

Generell muss ich auch sagen, dass ich mich mit Edge bei manchen Sachen deutlich wohler fühle als mit anderen Browsern. Dabei beziehe ich mich auf den Stand des Fall Creators Updates, mit der kommenden Version 1803 werden bei Edge nochmal einige Kritikpunkte von mir abgeräumt, indem zum Beispiel der Hub neu gestaltet wurde oder man Tabs dann auch stummschalten kann. Auch einige Entscheidungen beim Design finde ich beim nächsten Update deutlich angenehmer gelöst.

Ein paar Kritikpunkte bleiben aber bestehen. Der Umgang mit multimedialen Inhalten muss weiter verbessert werden, außerdem würde ich mir weiterhin einen Miniview für Videos, die Rückkehr der Tracking Protection Lists sowie eine Schlagwortsuche (b für Bing, m für Mixer usw.) wünschen, um bestimmte Suchen schneller zu erreichen. In der Summe habe ich Edge aber unterschätzt, das muss ich abschließend für mich festhalten. Standardbrowser wird er bei mir zwar auch nach dem kommenden Update nicht, aber er ist für mich kein Browser zweiter Klasse mehr. In Zukunft werde ich ihn jedenfalls deutlich häufiger nutzen und dafür die Experimente mit den anderen Derivaten bei Gecko (hier gibt es für mich nur Firefox) und Chromium (hier habe ich ohnehin Chrome, Opera und Vivaldi) beenden. Das lohnt sich für mich jedenfalls nicht mehr.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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