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Kommentar: Microsoft und die Progressive Web Apps

Kommentar: Microsoft und die Progressive Web Apps

Die Zeiten sind noch gar nicht so lange her: Als Microsoft vor vielen Monaten ankündigte, künftig Progressive Web Apps in den Microsoft Store zu bringen und mit den Features von Windows 10 anzureichern, feierten einige Kollegen dies schon wie eine kleine Revolution. Man würde einen kommenden Quasi-Industriestandard unterstützen, die Hürden und Hemmschwellen für Entwickler deutlich senken, sodass Windows 10 nun einfach davon profitieren musste. Gleichzeitig wollte Microsoft über den Bing Web Crawler selber das Web nach qualitativ hochwertigen Apps durchforsten und die dann, nach nochmaliger Kontrolle, handverlesen für alle Nutzer in den Store bringen.

Die Resultate im Hier und Jetzt sind allgemein bekannt. Abseits von Twitter schöpft eigentlich keiner die Möglichkeiten voll aus und was Microsoft selber an PWAs zusammengekratzt hat, wirkt in etwa so lieblos wie das, was sie selber mit LinkedIn oder Sway als so genannte Universal Apps in den Store gekippt haben. Und nun? Nun kam vor zwei Tagen Chrome 70 in der finalen Version heraus und mit Google schickt sich nun der eigentliche Vater der Progressive Web Apps an, ausgerechnet auf Windows Microsoft von hinten aufzurollen. Ein Umstand, der durchaus Signalwirkung haben könnte…

Der Vater kommt

Man kann von Google und seinem Browser Chrome halten, was man will, aber bereits auf den ersten Blick ist Google hier in einer deutlich besseren Ausgangsposition. Chrome wird alleine aufgrund seines hohen Marktanteils und der Tatsache, dass nach Windows auch noch macOS und Linux folgen werden, deutlich attraktiver für externe Entwickler sein. Die Installation der PWAs ist bei Google deutlich einfacher und weniger umständlich als bei Microsoft und zu guter Letzt profitieren auch Googles eigene Plattformen Android, Chrome OS und auf lange Sicht sicherlich auch Fuchsia ganz massiv davon.

Noch deutlicher wird das Ganze, wenn man das mal auf die eigentlichen Plattformen reduziert. EdgeHTML ist sehr isoliert und auf Windows 10 beschränkt, außer Microsoft Edge gibt es keinen relevanten Player. Auf Chromium hingegen baut eine deutlich größere Zahl an recht namhaften Browsern auf, darunter neben Chrome auch noch Vivaldi, Opera, Yandex oder Maxthon. Sollten diese Vertreter ebenfalls die einfache Installation der PWAs erlauben, würde das als Nebeneffekt die ohnehin schon dominante Stellung von Chromium als Plattform, die sich auch über die Browser hinaus schon manifestiert hat, noch weiter stärken. Dass außerdem Mozilla auch den PWAs auf lange Sicht nicht abgeneigt ist, diese in Firefox zu unterstützen, ist angesichts früherer Experimente mit WebRT auch keineswegs ausgeschlossen.

Mittlerweile hat der Markt an Progressive Web Apps auch einige große Namen hervorgebracht, die Chrome (teilweise) auch auf dem Desktop erkennt und die Microsoft auf Windows 10 einfach fehlen. Hierzu gehören unter anderem auch Pinterest und Google Photos, weitere Beispiele für bereits existierende PWAs findet ihr unter anderem hier und hier.

Ein mögliches Szenario

Für die Zukunft könnte das eine einerseits interessante und andererseits für Microsoft durchaus bittere Entwicklung nehmen. Aus rein technischer Sicht hat Google ein ziemlich attraktives Portfolio beisammen, was es später als Progressive Web Apps auf Windows bringen könnte: Gmail, Drive, Photos, Docs, Sheets, Slides, Forms, Messages, YouTube, Maps, Kalender, Keep oder einfach die Suche. Daneben war der Chrome-Browser auch früher schon nicht nur ein Browser, sondern durchaus eine Plattform, mit der auch die entsprechenden Desktopanbindungen wie die der Office-Programme, dem Google Kalender oder Chrome Remote Desktop umgesetzt wurden. Des weiteren hat Google auch die Bemühungen, sich besser etwa über die Benachrichtigungen ins jeweilige Betriebssystem  zu integrieren, zuletzt deutlich verstärkt.

Sollte Google hier die richtigen Akzente setzen, könnten sie quasi eine Art “Chrome OS lite” durch die Hintertür einschleusen, so wie sie es experimentell schon einmal bei Windows 8 versucht haben. Wird das Ziel konsequent weiter verfolgt und irgendwann auch der Google Assistant in Chrome integriert, wäre der Effekt geradezu paradox. Einerseits würde Google dafür sorgen, dass seine “Killer-Apps” wirklich flächendeckend für Windows erscheinen und die Progressive Web Apps sich auch deutlich schneller verbreiten könnten. Allerdings hätte Microsoft selber davon genau gar nichts. Google würde den Microsoft Store und die Möglichkeiten von Windows 10 (weitgehend) umschiffen und könnte den Nutzern trotzdem eine recht gute Benutzererfahrung bieten.

Was nun, Redmond?

Microsoft hat hier gleich in mehrfacher Hinsicht ein Problem. Sie sind letztlich nicht nur daran gescheitert, den PWAs unter Windows 10 wirklich entscheidenden Anschub zu liefern, sondern sie waren auch nie wirklich daran interessiert, mit ihren eigenen Anwendungen als PWA zu glänzen, sodass sich diese als Vorzeigeprojekte präsentieren konnten. Raum für Entwicklung wäre ausreichend vorhanden. Alleine bei Sway, LinkedIn oder OneDrive hätte eine echte PWA schon jetzt weitaus mehr Qualität als das, was wir derzeit im Microsoft Store finden. Gleichzeitig könnte ein Portal wie Mixer so in den Store kommen, welche bis heute noch nicht einmal Web Notifications nativ unterstützt.

Allerdings könnte sich hier irgendwann auch wieder das neue Microsoft zeigen, welches seit Satya Nadella ohnehin ziemlich schmerzbefreit ist. Bedeutet: Sollte besagtes Szenario eintreten, könnte man in Redmond gemäß seiner neuen Mantras “Wir lieben Linux und OpenSource.” und “Windows ist nicht mehr der Nabel der Welt.” auch dafür sorgen, dass seine bisherigen Webanwendungen in PWAs umgewandelt werden. Das hätte nicht nur zumindest teilweise mögliche Auswirkungen auf den Microsoft Store, sondern würde in der Theorie auch etwa den Weg für Office 365 unter Linux freimachen. So würde irgendwann aus der Theorie eine logische Konsequenz.

So oder so muss man unter dem Strich eines festhalten: Microsoft wollte und musste Google mit aller Macht bekämpfen, worin den Progressive Web Apps eine Schlüsselrolle zukommen sollte. Leider haben sie dabei statt dem scharfen Schwert den Gummidolch aus der Waffenkammer geholt. Die Zukunft wird jedenfalls, egal was passiert, für die Progressive Web Apps deutlich spannender und interessanter.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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