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Kommentar: Wenn der Frachter ums Eck kommt…

Kommentar: Wenn der Frachter ums Eck kommt...

Das heutige Internet ist unter der Haube ein ziemlich monotoner Ort, zumindest wenn man von Windows aus unterwegs ist. Während Firefox mit seiner eigenen Gecko-Engine noch die Flagge der Unabhängigkeit hoch hält, sind sämtliche anderen (relevanten) Vertreter auf Basis von Chromium unterwegs. Das gilt auch für Edge, der nach dem Aus des ersten Versuchs auf Basis von EdgeHTML durchaus Pluspunkte bei den Nutzern sammeln konnte. Alte Probleme sind aber wieder auf dem Vormarsch.

Die Ärgernisse begannen bereits vor gut anderthalb Jahren, als sich auch Microsoft-affine Journalisten seinerzeit über die Einführung der Feature Recommendations beschwerten, die man aber in den Flags abschalten konnte. Es war aber nur ein erster Vorbote für das, was noch kommen würde. Immer mehr Sachen wurden in den Browser geschmissen, gerade das Hauptmenü blähte sich zunehmend auf und manche Doppelstrukturen wurden geschaffen, darunter unter anderem gleich zwei Taschenrechner, weil neben dem Rechner in den Extras der Seitenleiste auch der Microsoft Math Solver immer noch integriert ist.

Der nächste Ärger könnte jetzt mit der neuen Discover-Funktion drohen, die aus der eigentlichen Seitenleiste gelöst und fest in der Navigationsleiste von Edge verankert werden dürfte. Obendrein soll sie sich schon durch bloßes Hovern öffnen, ein Verhalten, was schon aus Windows 10 und Windows 11 vertraut ist und für Kritik von Nutzern gesorgt hat. Die Ausbauorgie ist zudem anscheinend mittlerweile so penetrant, dass sie selbst den eigenen Mitarbeitern bei Microsoft auf den Zeiger geht.

Man muss fairerweise sagen, dass Microsoft mit der Idee, den Browser zu einem möglichst umfassenden Paket zu entwickeln, nicht alleine ist. Vivaldi ist das beste Beispiel in der Chromium-Familie, aber auch andere wie Opera versuchen sich an ähnlichen Ansätzen. Durch den Internet Explorer hat Microsoft aber auch eine gewisse Vergangenheit, bei der man klar sagen muss, dass eine solche Retrowelle viel mehr schadet als alles andere.

Nach dem Wechsel von EdgeHTML auf Chromium gab es drei zentrale Gründe, warum Edge auch in der allgemeineren Nutzerbasis eine faire Chance bekam. Erstens: Der Browser war schlank und zeigte sich im Vergleich mit Chrome oder Vivaldi genügsam und performant. Zweitens: Microsoft warf seine Sonderanforderungen bei der Kompatibilität mit dem Web über Bord, für Entwickler wurde es einfacher und der Browser marschierte endlich im Gleichschritt mit Firefox und Kollegen. Drittens: Microsoft konzentrierte sich auf sein Kernareal als “Productivity Company” und neue Funktionen in Edge waren exakt darauf ausgerichtet.

Letzteres ist teilweise auch heute noch so. Microsoft hat weiterhin gute Ideen und mit Funktionen wie der neuen geteilten Ansicht sind Neuerungen in Arbeit, die weiterhin auf das Kernanliegen Produktivität ausgerichtet sind. Glaubt man den jüngsten Leaks, könnten wir dank Project Phoenix in der weiteren Zukunft auch noch deutlich mehr erwarten.

Gleichzeitig muss man die Frage stellen, wie kontraproduktiv und destruktiv das immer weitere Aufblähen von Edge an den Rändern langfristig ist. Wir reden nicht nur von dem Browser, den Microsoft gerne anstatt von Chrome oder Firefox als Standard in den Unternehmen und im öffentlichen Dienst sehen will und wo die Mitarbeiter ihre Eindrücke von zu Hause mit auf die Arbeit nehmen und umgekehrt. Letztlich ist Edge aktuell auf dem besten Weg, die finstersten Marotten des Internet Explorers in das moderne Web mitzunehmen. Wenn die Ikone im Herzen zur Ikone mit Schmerzen wird, ist keinem geholfen. Eine gründliche Aufräumaktion, bei der Doppelstrukturen abgebaut, die Menüs besser strukturiert und die Seitenleiste besser nutzbar gemacht wird/werden, ist längst überfällig.

Persönlich nutze ich Edge immer noch gerne. Für mich ist er weiterhin einer der besten und der für mich ideale Chromium-Browser, weil ich vor allem im Microsoft-Ökosystem unterwegs bin. Mittlerweile ist es aber auch so, dass Firefox wieder mehr und mehr an Boden gewinnt und die Nutzungsdauer mittlerweile fast mit der von Edge mithalten kann. Wie das am Ende ausgeht, kann ich noch nicht sagen. Wenn ein Browser aber immer mehr zu einer Wand voller Leuchtreklame wie in Las Vegas verkommt, ist irgendwann sicherlich eine Grenze erreicht.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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