Am Puls von Microsoft

Kommentar: Wenn der Sitz in der eigenen Suppe immer noch am bequemsten ist

Kommentar: Wenn der Sitz in der eigenen Suppe immer noch am bequemsten ist

Am gestrigen Montag sorgte eine neue Petition der Free Software Foundation für mediale Aufmerksamkeit. Nachdem Windows 7 im Januar zum letzten Mal kostenlos mit Sicherheitsupdates versorgt wurde und damit de facto sein End of Life beim klassischen Endkonsumenten erreicht hat, soll das Betriebssystem nach Ansicht der FSF als freie Software an die Gemeinschaft übergeben werden, um es zu studieren, zu verändern und zu Teilen. Natürlich kann man das als klassischen PR-Stunt bezeichnen und die Forderung der FSF wird bei Microsoft naturgemäß auf taube Ohren stoßen, aber es zeigt auch etliche grundlegende Probleme auf, die in der Welt der Informationstechnologie existieren und die gerade die Enthusiasten in den einzelnen Communities auch nicht immer wahrnehmen.

Zunächst sprechen aber vor allem zwei Gründe dafür, dass Microsoft nicht ansatzweise daran gelegen sein kann, dass Windows 7 als freie Software veröffentlicht wird. Erstens: Auch wenn der Support beim Consumer ausgelaufen ist, wird Microsoft noch mindestens drei Jahre lang bei Unternehmen gegen Bezahlung weitere Patches liefern und verdient mit Windows 7 entsprechend weiterhin Geld. Zweitens: Viele Elemente, die in Windows 7 bereits vorhanden waren, stecken immer noch in Windows 8.1 und Windows 10, was automatisch die Sicherheitsfrage aufkommen lässt. Ein Wildwuchs an Windows 7-basierten Distributionen wäre ein Albtraum und würde auch Nutzer der moderneren Windows-Versionen potenziell gefährden. Rechnet man den chronischen Entwicklermangel und die im Vergleich zu Microsoft desolaten Ressourcen sowie die mangelhafte Infrastruktur dazu, wäre das Risiko, was aus einer solchen Aktion hervorgehen würde, weder vertret- noch kalkulierbar.

Vor allem macht es aber keinen Sinn, dass Microsoft Windows 7 als freie Software veröffentlicht. Wer sich bewusst für freie und/oder quelloffene Software entscheidet und dabei zumindest auf eine der großen Linux-Distributionen als Produktivsystem setzt, entscheidet sich auch bewusst gegen Windows und macOS. Es ist viel wahrscheinlicher, dass die Arbeit lieber in alternative Projekte wie Wine oder Vulkan gesteckt wird, die sich ohnehin gut in Linux integrieren. Aber auch sonst sind Linux-Nutzer immer weniger auf Windows als Zweitsystem oder als virtuelle Maschine angewiesen. Mit dem Gaming fällt der bisherige Hauptgrund hierfür langsam weg, denn auch hier hat Linux durch Steam und Proton, durch Lutris, durch Projekte wie DXVK und nicht zuletzt auch durch Vulkan solche Fortschritte gemacht, die zumindest für die felsenfesten Linux-Nutzer und -Gamer ausreichend sind. Kurzum: Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft werden sie “uns” ohnehin (fast) nicht mehr brauchen.

Das ist allerdings kein Phänomen von Linux und FOSS, sondern die Bedeutung des eigentlichen Betriebssystems nimmt generell ab. Plattformübergreifende Entwicklung ist, wenn man Apple und Swift zum größten Teil einmal ausklammert, heute eher schon die Regel als die Ausnahme und wird durch neue Methoden wie Electron, React Native oder die Progressive Web Apps nur noch befeuert, auch wenn einige Enthusiasten gerade Electron als kritisch und aufgebläht betrachten. Aber auch abseits der altgedienten Webtechnologien gehen Entwickler mit großen Schritten in diese Zukunft. Neben Google, die mit Flutter und Dart ihren Ansatz geliefert haben, schließt das ausdrücklich auch Microsoft mit ein, denn hier wird auf Blazor in all seinen Facetten bald eine zentrale Rolle zukommen. Hinzu kommen andere Sprachen und Plattformen wie Qt oder Kotlin, die auf ihre Weise zu dieser Entwicklung beitragen.

Bei allen Argumenten, die schon seit vielen Jahren in dieser Debatte ausgetauscht werden, darf man aber auch eine Sache nicht vergessen: Wir als “Enthusiasten” und deutlich versiertere Nutzer sitzen, egal aus welcher Community wir kommen, hier in unserer eigenen Suppe und repräsentieren nur eine Minderheit derjenigen, die Windows und andere Systeme tatsächlich nutzen. Wir haben uns im Endeffekt eine eigene Filterblase geschaffen, aus der gerade diejenigen, die mit äußerstem Eifer für ihre Plattform und ihre Sache trommeln und dabei regelrecht missionieren, am allerwenigsten ausbrechen. Dabei ist es 99 % der restlichen Nutzer vollkommen egal, welches Betriebssystem unten drunter läuft und warum eine Anwendung funktioniert, wie sie funktioniert. Sie nutzen die Geräte als Werkzeuge und wollen sich nicht mit den inneren Eigenschaften einer Software befassen.

Was sollte also das Fazit aus dieser Debatte sein?

Natürlich sind Datenschutz und Datensicherheit gerade in Zeiten zunehmender Data Breaches nicht egal und man muss die Nutzer dafür sensibilisieren, für grundlegende Aufgaben wie das Passwortmanagement entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Wir müssen aber darauf achten, dass wir nicht uns als Minderheit, sondern die anderen 99 % der Nutzer, die zum größten Teil unerfahren sind und sich mit der Technologie auch nicht wirklich auskennen, in den Mittelpunkt stellen. Vor diesem Hintergrund wäre es gefährlich und grob fahrlässig, wenn Windows 7 als freie Software veröffentlicht werden würde. Vielmehr ist es wichtig, dass man dem Willen der großen Mehrheit der Nutzer folgt und der eigentlichen Plattform, auf der die Menschen arbeiten, immer weniger Bedeutung zukommen lässt. Das kann aber nur gelingen, wenn wir aus unseren selbst geschaffenen Filterblasen ausbrechen und als Nutzer, Enthusiasten und Entwickler der jeweiligen Plattform mehr oder weniger gemeinsam daran arbeiten, plattformübergreifende Lösungen zu entwickeln und dabei die Nutzer der anderen Ökosysteme nicht mehr verteufeln oder niederschmettern, nur weil sie sich für einen anderen Weg entschieden haben.

Auch im IT-Bereich gilt ein einfacher Grundsatz: Sowohl Hard- als auch Software sind einfach Werkzeuge. Mit diesen Werkzeugen arbeiten Menschen. Menschen sind unterschiedlich, vertreten andere Auffassungen und Werte und haben andere Angewohnheiten, wie sie arbeiten. Aus diesen Angewohnheiten ergeben sich jeweils andere Anforderungen, die die Menschen an eine entsprechende Lösung stellen. Und daraus folgt wiederum, dass es nie die eine Lösung geben kann und wird, sondern dass man die jeweiligen Lösungen mit dem Nutzer erarbeiten und anpassen muss. Das, und nur das, kann letztlich im Mittelpunkt der Debatte stehen.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

Anzeige