LibreOffice: Der Vergleich mit Microsoft ist nicht mehr zeitgemäß

Vor zwei Tagen wurde LibreOffice 7.6 veröffentlicht und die Entwickler hatten in ihrer Ankündigung nicht nur die neuen Funktionen der Office-Suite im Gepäck, sondern machten weitere Änderungen publik. Einerseits soll sich die Versionierung auf eine Kalenderbasis ändern, die nächste Version ist dann Version 24.2 im kommenden Februar. Vor allem kommen sie aber zu dem Eingeständnis, dass es nach 12 Jahren extrem schwer ist, wirklich noch komplett neue Funktionen zu entwickeln.
Das ist an sich nicht verwunderlich, immerhin gehen die Wurzeln von LibreOffice mittlerweile mehrere Jahrzehnte bis zu OpenOffice und StarOffice zurück und die Office-Suite hat sich immer auf seine vorhandenen Kernmodule konzentriert. Die Ressourcen sind in einem mehr oder weniger unabhängigen FOSS-Projekt außerdem immer knapp. Mit der Ankündigung sprang mir dabei aber auch dieser Kommentar ins Auge, der mich auch zu einer zentralen Frage veranlasst: Ist der Vergleich mit Microsoft überhaupt noch richtig?
Das Ökosystem Microsoft 365
In der Vergangenheit war ein solcher Vergleich bereits eher schwierig, weil sich Microsoft Office gerade in seinem Ausmaß von LibreOffice abgehoben hat. Frühere Mitglieder wie FrontPage haben die Office-Suite zwar verlassen, aber auch heute umfasst Office, wenn man Project und Visio einbezieht und sich am Umfang von Office 365 orientiert, bis zu 9 vollständige Desktop-Programme, von denen einige Sachen abdecken, die LibreOffice nie beachtet hat. Ein Notizprogramm wie OneNote oder einen Mailclient wie Outlook gibt es hier nicht. Mittlerweile, und das ist der Kernpunkt, wurde auch die Rolle von Office längst neu definiert.
Wer heute in Microsoft 365 investiert, tut das in ein vollständiges Ökosystem, was sich quer durch das Microsoft-Universum zieht. Die Redmonder haben um die einstige reine Office-Suite immer neue Produkte eingeführt und damit auf neue Trends im Bereich der Produktivität reagiert. Mit OneDrive haben wir an die Personal Cloud angedockt, Teams war die Reaktion auf Slack, mit Forms reagierte man auf sein Google-Pendant, To Do entstand durch die Übernahme von Wunderlist und sollte Diensten wie Todoist Konkurrenz machen, und zuletzt hat mit Loop der eigene Konkurrent zu Notion das Licht der Welt erblickt. Das sind nur einige Beispiele, die für uns als Microsoft-Community auch nicht neu sind.
Hinzu kommt, dass die einzelnen Dienste auch immer mehr ineinander gegriffen haben. Die Sticky Notes finden sich heute sowohl in der mobilen Office-App als auch in OneNote, während Microsoft To Do auch in Outlook in all seinen Formen präsenter wird und Office sich auch seinen Weg in Microsoft Edge als Browser gebahnt hat. Diese Verzahnung ist am Ende auch das, was Microsoft 365 inklusive der bekannten Klassiker wie Word, Excel und PowerPoint heute auszeichnet.
Die Sammlung LibreOffice
Von einer solchen plattformübergreifenden Verzahnung ist LibreOffice weit entfernt. Zwar gibt es LibreOffice Online und mit dem LibreOffice Viewer sowie Impress Remote wurden auch einzelne mobile Apps umgesetzt, aber im Wesentlichen zeichnet sich die Office-Suite immer noch durch ihre 6 Kernmodule aus, mit denen die Community-Version am Desktop genutzt werden kann. Die Integration ist analog dabei noch am Ehesten mit den PowerToys vergleichbar, wo es auch eine zentrale Installation unter Windows gibt, nach der dann die einzelnen Module ausgewählt bzw. aktiviert und deaktiviert werden können. Insofern sind die puren Voraussetzungen zwischen beiden Projekten ohnehin schon grundverschieden.
Dieser Punkt und die Tatsache, dass LibreOffice immer noch seine Probleme hat, die es seit vielen Jahren mit sich rumschleppt – auch dazu hat der erwähnte Blog bereits einen guten Kommentar gebracht -, sind das eine. Von denen kann ich gerade mit Writer und Impress auch persönlich berichten. Wichtiger ist aber auch der Punkt, dass sich LibreOffice auch im FOSS-Bereich im Wettbewerb befindet. Dass es das auch hier gibt und sich unter anderem Firefox mit Brave, GIMP mit Pinta oder NextCloud mit Seafile messen muss, ist gut. Im Falle von LibreOffice bekommt man allerdings manchmal den Eindruck, sie haben den Fokus zu sehr auf OpenOffice gelegt und wollen sich nicht mit anderen FOSS-Konkurrenten wie OnlyOffice im Wettbewerb messen. Zumindest war das ab und an mein Eindruck, wenn man die Diskussionen zwischen OpenOffice und LibreOffice verfolgt hat.
Eine Frage der Philosophie?
Bei all der Kritik und den vorhandenen Umständen darf man aber auch nicht vergessen, dass unterschiedliche Philosophien hier eine tragende Rolle spielen. Investiert man in ein ganzes Ökosystem wie Microsoft 365 oder Google Workspaces, ist das für viele Nutzer schon so, als würden sie mit Kanonen auf Spatzen schießen oder ihren Bachelor in Raketenwissenschaft nachholen. Manchmal ist auch eine kleinere und trotzdem noch umfangreiche Sammlung wie LibreOffice schon zu viel. Nutzer diversifizieren heute entweder mehr, brauchen nicht mehr für alles eine Desktop-App oder nutzen zentral bündelnde Werkzeuge wie Notion, um ihren Alltag zu organisieren.
Übertragen auf Office-Suiten bedeutet das, dass gerade auch kleinere Produkte wie unser heimisches SoftMaker Office oder Apple iWorks mit Pages, Numbers und Keynote ihre Berechtigung haben, weil sie mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationssoftware nur die drei wichtigsten Bestandteile mitbringen. Woran es wiederum krankt, sind offene Standards, die nicht immer eingehalten werden. Hier offenbart sich dann auch wieder eine zentrale Konfliktlinie zwischen Microsoft Office und LibreOffice. Schließlich haben sich nicht die OASIS-Formate durchgesetzt, sondern Microsofts eigene OOXML-Formate wie .docx, .xlsx und.pptx sind der heutige Branchenstandard.
Schlusswort
Dass der Vergleich zwischen Microsoft Office und LibreOffice heute immer noch bemüht wird, ist zwar verständlich, aber es ist nicht mehr zeitgemäß. LibreOffice selbst befindet sich mit seinem Funktionsumfang heute im mittleren Bereich. Einerseits bietet es mehr Möglichkeiten als kleinere Vertreter wie Apple iWorks oder SoftMaker Office, andererseits ist es Welten davon entfernt, es mit einem gesamten Ökosystem wie Microsoft 365 aufnehmen zu können.
Was der einzelne Nutzer am Ende tatsächlich braucht, muss ihm überlassen bleiben und sollte auch nicht Ziel von Missionierungen sein. Der Einsatz von freier und/oder quelloffener Software ist wichtig. Wenn sich jemand nach intensiver Überlegung aber für ein kommerzielles Ökosystem wie Microsoft 365 oder eine kleinere proprietäre Suite wie SoftMaker Office entscheidet, weil ein Projekt wie LibreOffice seine Anforderungen nicht erfüllt, ist das in Ordnung. Letztlich sind es nur diese besagten Anforderungen, die eine richtige Entscheidung ausmachen können.
Thema:
- Software
Über den Autor

Kevin Kozuszek
Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.