Microsoft Edge auf Chromium-Basis: Der allererste Schuss muss sitzen
Microsoft baut seinen Browser Edge gerade von Grund auf neu und setzt künftig auf die Chromium-Plattform, das wissen alle gut informierten Leser bereits. In den letzten Wochen gab es diverse Leaks, von Screenshots der aktuellen internen Testversion über nicht funktionierende Installer bis hin zum ersten Entwurf des neuen Store für Erweiterungen.
All diese Leaks ließen die Hoffnungen wachsen, dass die erste Preview des neuen Edge bald veröffentlicht werden könnte. Ich sehe das allerdings anders. Ich bin kein bisschen ungeduldig und sage stattdessen: Jeder Tag, der ohne ein Release der Edge/Chromium-Preview vergeht, ist ein guter Tag. Je länger es dauert, desto besser. (Wer mein unfassbares Talent kennt, Kommentare zum exakt falschen Zeitpunkt zu veröffentlichen, der weiß: Eigentlich müsste es jetzt jeden Moment passieren).
Der Grund hierfür ist ein ganz simpler: Egal, was Microsoft da abliefert, es wird beurteilt werden wie ein fertiges Produkt. Wir müssen nicht darüber diskutieren, ob das fair ist. Es wird so passieren und Microsoft muss sich dessen bewusst sein.
Previews sind in den letzten Jahren ein beliebtes Mittel bei Microsoft geworden, um frühzeitig Kundenfeedback zu erhalten. Gleichzeitig wurde das Label „Preview“aber auch irgendwie zur Ausrede dafür, Dinge unfertig auf den Markt zu werfen und Kritik mit dem Hinweis abzuschmettern, dass es ja noch nicht fertig sei.
Solche Spielchen kann man mit Edge nicht mehr treiben, sein Ruf ist bereits zu sehr geschädigt – wer weiß, ob er überhaupt noch zu retten ist. Microsoft hatte mit Edge einen großen Browser-Neustart angekündigt und mit der ersten Version von Windows 10 im Jahr 2015 einen Browser zum Fremdschämen ausgeliefert. Und weil es keine zweite Chance für einen guten ersten Eindruck gibt, trägt Edge diese Hypothek immer noch mit sich herum. Dass sich der Browser inzwischen wirklich enorm weiterentwickelt hat – geschenkt. Der Stempel sitzt.
Ein weiteres „hier ist erst mal der Rohbau, den Rest machen wir dann später“ wird Microsoft Edge nicht überleben. Die erste Preview muss Eindruck machen, sie muss den Beweis bringen, dass Edge jede in der Vergangenheit geäußerte Kritik mit einem Schlag wegwischen kann und jetzt ein erwachsener Browser ist. Konkurrenzfähig und auf Augenhöhe mit allen Anderen.
Um das direkt wieder zu relativieren: Ich erwarte nicht, dass Microsoft Edge wie ein Browser-Phoenix aus der Asche empor steigt. Selbst wenn meine Erwartungen erfüllt werden, sehe ich nicht, warum sich Edge plötzlich nennenswerte Marktanteile holen sollte. Die Fans und Enthusiasten werden wechseln (mich eingeschlossen), aber für die Nutzer, die mit Chrome oder Firefox zufrieden sind, wird es wohl kaum Gründe geben, warum sie auf Edge wechseln sollten, weder mit der Preview noch mit der finalen Version.
Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, ob das für Microsoft überhaupt noch ein Ziel ist oder ob es sie schlicht nicht mehr interessiert, mit welchem Browser Otto Normaluser durch das Netz streift, in der Bilanz macht das ja keinen Unterschied. Ich denke, beim Neustart von Edge geht es in erster Linie darum, den Unternehmenskunden wieder einen soliden Browser an die Hand zu geben, den sie mit den bekannten Tools nicht nur unter Windows, sondern auch unter Android und iOS verwalten können. Dazu passt auch die aktuelle Ankündigung, dass Edge auf diesen Plattformen mit Intune nun noch besser gesteuert werden kann. Es geht darum, nach den Consumern nicht auch noch die Unternehmenskunden vollständig an Google Chrome zu verlieren.
Egal für welche Zielgruppe, Microsoft hat beim Thema Browser noch genau diesen einen Schuss. Der wird bereits mit der Preview des Chromium-Edge abgefeuert und muss deshalb sitzen.
Über den Autor
Martin Geuß
Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!