Microsoft Edge, Chromium und das Product LITE – zweite Gedanken
Die Woche ist noch jung und war dennoch schon spektakulär. Gleich zwei spannende Nachrichten haben wir bereits gehört, und auch wenn sie aus unterschiedlichen Quellen stammen, fällt es nicht sehr schwer, einen Zusammenhang herzustellen.
Es ist zwar unwahrscheinlich, dass es jemand übersehen hat, aber es geht darum, dass Microsoft einerseits die EdgeHTML-Engine gegen Chromium austauschen wird und andererseits an einem neuen Windows(?) arbeitet, dass den Codenamen LITE trägt und das nur Universal Apps und Web Apps unterstützt. Nachdem die ersten News dazu geschrieben sind, kreisen die Gedanken natürlich weiter. Meine zweiten Gedanken zu diesen Themen schreibe ich hier einfach mal nieder.
Wir werden es sehr bald erfahren, aber ich bin mir inzwischen ziemlich sicher, dass es keinen „neuen Browser“ für Windows 10 geben wird. Soll heißen: Edge wird seinen Namen und auch sein gewohntes Look&Feel behalten, für den Endnutzer wird es also ein Motorentausch sein, von dem er, wenn er nicht irgendwo davon liest, gar nichts mitbekommt. Würde man einen ganz neuen Browser aus der Taufe heben, dann müsste man Edge auch auf Android und iOS schon relativ kurz nach dem Start wieder umbenennen. Das wäre komplett sinnlos, denn er setzt ja sowieso schon auf den nativen Engines der jeweiligen Plattform auf. Natürlich ist der Name ein wenig verbrannt, er steht unter Windows 10 für den gescheiterten Versuch eines Neuanfangs, Edge dümpelt nach wie vor mit minimalen Nutzeranteilen durch die Lande.
An dieser Stelle kommen wir zum zweiten Punkt, der mich beim Grübeln eingeholt hat: Welchen Browser die Nutzer unter Windows 10 verwendet, kann Microsoft doch eigentlich vollkommen egal sein. Dass man Chrome nicht mehr vom Desktop-Thron wird stoßen können, hat Microsoft (hoffentlich) eingesehen. Der ja doch mit einigem Aufwand verbundene Austausch von EdgeHTML gegen Chromium kann nichts mit Browser-Marktanteilen zu tun haben. Das ist zu viel Arbeit bei gleichzeitig zu geringer Aussicht auf Erfolg – und das auch noch bei einem Produkt, dass sich nirgendwo in den Geschäftszahlen niederschlägt. Hier muss es um mehr gehen.
Und damit kommen wir dann zu Windows Lite, welches möglicherweise gar nicht Windows heißen wird. Ich glaube, es geht bei Chromium nicht um eine neue Engine für einen Desktop-Browser – es geht um die fundamentale Basis von Microsofts zukünftiger Client-Plattform. Willkommen bei Edge OS – ich nenne das jetzt einfach mal so.
In meinem Beitrag über das Product Lite kam ich gestern am Ende ins Stocken, und zwar an dem Punkt: Wer braucht ein System, dass so wenig kann? Ich habe dabei den selben Fehler gemacht, den ich anderen Leuten immer vorwerfe: Ich habe an das „vollwertige Windows“ gedacht und an alles, was Lite dann erst mal nicht kann. Völlig falscher Ansatz.
Dieses „Edge OS“ (der Name gefällt mir) wäre ein System, dass grundlegend auf der Chromium-Plattform aufbaut – es hätte von Haus aus also alle Basis-Funktionen, die auch Chrome OS hat. Alle Web Apps, die unter Chrome OS laufen, laufen hier ebenso gut – es ist ja im Grunde das selbe System.
Zusätzlich würden noch Universal Apps unterstützt. Und hier kann man in der Tat von „zusätzlich“ sprechen. Es gibt zwar nicht so viele Universal Apps, diese sind aber tauglich für den Desktop. Ich habe Chrome OS in den letzten Wochen intensiv genutzt – dort gibt es die Android-Apps, aber das sind insgesamt betrachtet dann doch eher Krücken. Ich lehne mich aus dem Fenster und behaupte: Unter Produktivitäts-Gesichtspunkten ist das UWP-Ökosystem schon jetzt insgesamt nützlicher als die Android-Apps unter Chrome OS.
(Was an dieser Stelle überhaupt nicht ins Bild passt ist der Umstand, dass Microsoft die Office Universal Apps abgekündigt hat. Darum glaube ich auch, dass dies nur die halbe Geschichte ist. Da kommt noch was.)
Darüber hinaus wäre es für Microsoft nicht allzu schwer, vollwertige Win32-Software über einen Cloud-Service verfügbar zu machen – für die Nutzer, die es brauchen. Außerdem denke ich noch an das Project XCloud, Microsofts neuen Gamestreaming-Dienst, der im kommenden Jahr startet. Unser „Edge OS“ könnte also auch für Zocker interessant werden.
Ziehen wir den Vergleich zum guten alten Windows, bleiben alle Phantasien im Ansatz stecken, weil immer ein Rückschritt damit verbunden ist. Aber wir sehen auch, dass immer mehr Leute sich für Chromebooks interessieren. Ganz offensichtlich gilt der Grundsatz, dass alles andere als ein vollwertiges Windows nichts wert ist, nicht für alle Nutzer.
Fügt man all die obigen Schnipsel zusammen, dann sehen wir ein System, das zwar nicht in der Lage ist, Windows zu ersetzen, das aber sehr wohl gegen Chrome OS bestehen kann – und das sich sozusagen zwangsläufig im Gleichschritt mit diesem weiterentwickelt. Microsoft müsste wechselwillige Kunden nicht mehr überzeugen, dass Windows zwar sehr viel komplexer, aber halt auch sehr viel leistungsfähiger ist. Sie könnten sagen: Guck mal, genau das Gleiche haben wir auch. Und von Windows kommend machen wir dir den Umstieg erheblich leichter.
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Über den Autor
Martin Geuß
Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!