Am Puls von Microsoft

Microsoft und der geplatzte Traum vom nächsten großen Ding

Microsoft und der geplatzte Traum vom nächsten großen Ding

Die mobile Revolution degradierte Microsoft in der Computerwelt vom unumstrittenen Anführer zum Mitläufer. Der Windows-PC war plötzlich nicht mehr allgegenwärtig, das Smartphone übernahm für viele Menschen die Rolle der digitalen Primärwaffe und veränderte den Umgang mit Computern (zu denen ich das Smartphone ebenfalls zähle) in bisher nicht gekannter Weise.

Microsofts eigene Smartphone-Bemühungen sind bekanntermaßen gescheitert, allerdings wähnten sich die Redmonder gut aufgestellt für die nächste revolutionäre Veränderung. Es wurden in diesem Zusammenhang vor 5-6 Jahren ein paar interessante und im Nachhinein amüsante Fehleinschätzungen getroffen, an die ich kürzlich wieder denken musste. Ich will mich nicht darüber lustig machen, denn einerseits habe ich mich mit meinen eigenen Einschätzungen schon selbst oft genug geirrt, andererseits habe ich die Zukunft, die Microsoft damals kommen sah, tatsächlich für möglich gehalten.

Auslöser für diese Gedanken war der Abschied von Alex Kipman, der bei Microsoft nach internen Querelen und Vorwürfen um sexuell anzügliches Verhalten vor die Tür gesetzt wurde. Anfang Juni wurde sein Abgang verkündet, er sollte aber noch 1-2 Monate bleiben. Aus seinem Twitter-Profil hat er die Verweise auf Microsoft entfernt, also gehe ich davon aus, dass er inzwischen „raus“ ist. Obwohl es letztlich nur eine Personalie ist, hat sie eine gewisse Symbolwirkung, denn Alex Kipman gilt als Erfinder der HoloLens, die wiederum für Microsoft so etwas wie das Sinnbild für den Aufbruch in die nächste Ära werden sollte.

In einem Interview hat Alex Kipman einmal gesagt, das Smartphone sei tot, es habe nur noch niemand bemerkt. Der Satz wurde aus dem Zusammenhang gerissen und man amüsierte sich köstlich über ein derart weltfremdes Statement. Kipman wollte damit zum Ausdruck bringen, dass auch das Smartphone an den Punkt kommen wird, wo andere Geräte seinen Job übernehmen – so wie das eben vor etwas mehr als zehn Jahren beim PC passiert ist.

Selbstverständlich spielte die HoloLens in der Vision der Smartphone-Nachfolge eine Rolle. Microsoft CEO Satya Nadella sprach mit Blick auf die Zukunft immer vom „Ambient Computing“, wo nicht mehr alle Arbeiten an einem Gerät erledigt werden, sondern wir sozusagen von Computerfunktionen umgeben sind und diese sich auf mehrere Geräte verteilen, wie beispielsweise Smart Home Geräte, die sich per Sprachassistent bedienen lassen.

Auf das Scheitern der Windows Phones angesprochen, sagte Nadella, dass man diese Welle der Veränderung ganz klar verpasst habe und es nun darum ginge, bereit zu sein, wenn die nächste Welle kommt. Auch das liest sich einige Jahre später und dem Ausbleiben dieser nächsten Welle, während stattdessen der PC eine Renaissance erlebt, ein bisschen lustig.

Man muss sich hierbei allerdings in Erinnerung rufen, wie sehr und wie schnell die Technikwelt ab dem Jahr 2007 mit der Ankunft des ersten iPhone auf den Kopf gestellt wurde. Auch Jahre später stand man gewissermaßen noch unter Schock und irgendwie dachten wir doch alle, dass die Veränderungen in Zukunft noch schneller und noch radikaler kommen würden. Mitten in dieses „Chaos“ platzte Microsoft im Jahr 2015 mit der HoloLens. Einem Gerät, das es in dieser Form vorher so nicht gegeben hatte. Da kann man schon mal anfangen zu „spinnen“ und sich fragen, ob solche Geräte vielleicht in Zukunft unseren Alltag bestimmen.

Unter dem Begriff „Metaverse“ wird ja derzeit versucht, um genau dieses Thema einen Hype zu entfachen. Ich hoffe, es ist kein Indiz für einsetzenden Altersstarrsinn, dass ich kein bisschen an eine Metaverse-Revolution glaube. Die Idee, eine virtuelle Welt zu erschaffen, in der nichts einen echten Wert hat, aber trotzdem alles Geld kostet, ist allerdings unbestritten genial – für Diejenigen, die sich davon entsprechenden Reichtum erhoffen. Auch im Web 3.0 werden am Ende einige Wenige fast alles besitzen und die vermeintliche Dezentralisierung wird nur dafür sorgen, dass deren Macht auf breiteren Füßen steht.

Aber ich schweife ab, kommen wir zurück zu der Technologie, von der Microsoft glaubte, sie könne das Smartphone beerben. Technologisch hat die HoloLens für mich noch immer nichts von ihrer Faszination eingebüßt, sie hat Microsoft außerdem einige neue Kunden sowie überaus spannende Projekte beschert. Eine Revolution hat sie allerdings nicht ausgelöst, und ich persönlich glaube nicht, dass das noch passieren wird.

Ich sehe in der Tat nur einen Anbieter, der AR-Brillen in den Massenmarkt bringen kann, und das ist Apple. Als Beleg für diese These dient mir die Apple Watch. Ja, andere Hersteller verdienen mit ihren Smartwatches auch ein bisschen Geld, aber nur Apple hat es geschafft, ein lebendiges Ökosystem für diese Gerätekategorie zu etablieren. Warum? Weil sie eine „Gefolgschaft“ haben. Das ist nicht so böse gemeint, wie es vielleicht klingt, ich will gewiss nicht trollen (mit der Apple Watch an meinem Handgelenk, während ich diesen Text schreibe, wäre das auch einigermaßen unglaubwürdig).

Das 3D-Fernsehen scheiterte daran, dass die Menschen nicht einmal bereit waren, sich eine Plastikbrille ohne jegliche Elektronik aufzusetzen. Die Hemmschwelle für die Nutzung von AR-Brillen im Alltag dürfte ungleich höher sein, darum wird es Leute brauchen, die das tun, weil sie es wollen. Und genau das werden die Apple-Kunden sein, sobald aus Cupertino eine AR-Brille kommt. Wenn Tim Cook auf der Bühne steht und sagt, das ist der neue heiße Scheiß, dann werden die Entwickler noch in der darauffolgenden Nacht die ersten Apps fertigstellen und die Menschen werden sich im strömenden Regen anstellen, um zu den Ersten zu gehören, die unfassbar viel Geld dafür ausgeben. Das kann man belächeln, aber diesen Status hat sich Apple erarbeitet, Microsoft hat ihn nicht.

Das nächste große Ding wird es dennoch nicht werden, darauf werden wir – und Microsoft – wohl noch ein Weilchen warten müssen.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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