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Microsofts neue Cortana-Strategie: Vom Produkt zum Feature

Microsofts neue Cortana-Strategie: Vom Produkt zum Feature

Nicht nur der Windows-Bereich wurde bei Microsoft kräftig umgebaut, auch bei Cortana hat sich etwas getan. Mit Javier Soltero gibt es seit Anfang März einen neuen Hauptverantwortlichen für Cortana, damit verbunden ist eine komplette Reorganisation des entsprechenden Bereichs und demzufolge auch eine neue Strategie.

Mary Jo Foley hatte am Rande der BUILD die Gelegenheit, mit Soltero über diese neue Strategie zu sprechen. Sie lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Microsoft sieht Cortana nicht mehr als eigenständiges Produkt, sondern als eine Funktion, die dort zum Einsatz kommen soll, wo sie entsprechend hilfreich sein kann.

Was das in der Praxis bedeutet, konnten wir während der Keynote am ersten Tag bereits sehen. Cortana war an diversen Szenarien beteiligt, ohne so wirklich präsent zu sein, zum Beispiel bei der Demonstration des „smarten Meetings“.

Ihren einzigen Soloauftritt hatte Cortana bei der Vorführung der Kooperation mit Alexa, die man sich allerdings besser gespart hätte. Es war allzu offensichtlich, dass man diesen Teil zwanghaft unterbringen wollen, um zu belegen, dass dieses Thema noch nicht tot ist. Die Demo ließ den Betrachter allerdings mit der Frage „wozu soll das gut sein?“ zurück und irritierte mich. Erst kürzlich hatte Soltero nämlich den Druck vom Kessel genommen und gesagt, man werde ganz in Ruhe nach Szenarien suchen, die sinnvoll sind, anstatt einfach zwei Dinge aneinander zu klatschen. Genau das war es aber, was auf der BUILD demonstriert wurde.

Zurück zur neuen Strategie: Microsoft wird laut Soltero genau untersuchen, wo die eigenen Kernkompetenzen durch Cortana unterstützt und verbessert werden können, das ist in erster Linie natürlich der Bereich der Produktivität. Cortana wird also eher zu einer Funktion, die das Produkt aufwertet, in dem sie steckt.

Wenn Soltero in diesem Zusammenhang sagt, nichts sei „weiter von der Wahrheit entfernt als die Annahme, dass Cortana deshalb als „Persönlichkeit“ ausgedient hat“, dann darf man das in die selbe Schublade stecken wie den Satz „Wir stehen weiterhin voll hinter Windows 10 Mobile, dieses Jahr steht es allerdings nicht im Fokus“. Es ist die übliche Art und Weise, wie Microsoft radikale Veränderungen kommuniziert. Soltero sagt nämlich auch, der Markt für digitale Assistenten habe sich „anders entwickelt, als wir das angenommen hatten. Und auch wenn der Markt wichtig ist, haben wir uns entschlossen, nicht direkt mit einzusteigen“. Falls jemand dafür wirklich eine Übersetzung benötigt – sie lautet: „Wir haben es abgehakt“.

Der neue Weg ist genau der Richtige. Dass Cortana im Markt der digitalen Assistenten keine Chance mehr haben wird, ist spätestens seit der CES im Januar 2018 offensichtlich. Niemand, der in diesem Markt unterwegs ist, beschäftigt sich ernsthaft mit Cortana. In meinem damaligen Artikel „Cortana hat fertig“ schrieb ich: „Versucht Microsoft weiterhin, Cortana als eigenständige Assistentin zu etablieren, wird das vorhersehbar schief gehen.“ Genau dieser Realität hat sich der neue Chef gestellt und die entsprechenden Konsequenzen gezogen. Gut so.

Die Entwicklung der „Persönlichkeit“ eines digitalen Assistenten ist der aufwändigste Part und erfordert besonders hohe Aufwände bei der Lokalisierung – sowohl die reine Übersetzung als auch die Anpassung an gesellschaftliche und kulturelle Eigenheiten des jeweiligen Marktes betreffend. Microsofts eklatante Schwächen auf diesem Gebiet sind hinlänglich bekannt.

Es ist daher eine gute Idee, auf genau diesen Teil zu verzichten, zumal weiterhin gilt: Für Cortana als eigenständige digitale Assistentin hat Microsoft gar kein Geschäftsmodell. Es gibt kein Szenario, in dem die besonders starke Verbreitung von Cortana viel Geld in die Kasse der Redmonder spülen würde, insofern ergibt es schlicht keinen Sinn, weiter daran festzuhalten.

Umgekehrt kann Microsoft aber seine eigenen Produktivitäts-Werkzeuge sinnvoll um Sprachassistenz-Funktionen erweitern und sich damit noch stärker vom Wettbewerb abheben. Denn auch, wenn die Vorbehalte gegenüber derartigen Technologien bei den Unternehmen stärker ausgeprägt sein mögen als bei den Heimanwendern: Dort, wo man dafür offen ist, wird man sich eher Microsoft als Amazon oder Google anvertrauen, zumal diese im Unternehmensbereich vor dem selben Problem stehen wie Microsoft im Smart Home: Es fehlt ihnen der grundsätzliche Zugang, um überhaupt konkurrenzfähig sein zu können.

Vor allen Dingen Nutzer außerhalb der USA dürften von der neuen Cortana-Strategie profitieren, denn die Lokalisierung einzelner, in sich geschlossener Szenarien dürfte sich wesentlich einfacher gestalten. Im aktuellen Windows 10 April Update sind die positiven Auswirkungen bereits zu spüren, erstmals sind viele der Neuerungen auch in der deutschen Fassung enthalten.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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