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Mozillas Signalwirkung: Was bedeuten die Einstellungen von Pocket und Fakespot?

Mozillas Signalwirkung: Was bedeuten die Einstellungen von Pocket und Fakespot?

Manchmal ist es bei eingehenden Nachrichten spannender, wie sie kommuniziert werden, anstatt den eigentlichen Inhalt einfach nur zu übernehmen. So war das auch am gestrigen Abend, als Mozilla völlig überraschend die Einstellung von Pocket und Fakespot ankündigte und bei der Abwicklung zusätzlich denkbar kurze Zeitfenster nannte. Dass es sich dabei um gezielte und kurzfristig notwendige Sparmaßnahmen handelt und man nicht nur den Fokus wieder stärker auf Firefox richten möchte, zeigt auch die erneute Überbetonung dessen, dass hinter dem Produkt eine unabhängige Organisation steht, die deswegen immer wieder abwägen und priorisieren muss.

Was bleibt, ist die Frage nach der Signalwirkung. Es ist eine Sache, wenn man strukturelle Reformen angeht, wie es mit dem neuen Leadership Council passiert ist, oder ob man Randprojekte wie Didthis oder Mozilla Social einstellt. Bei Pocket und Fakespot reden wir aber von anderen Kalibern. Der eine war noch immer der große Konkurrent von Raindrop und Instapaper bei den Bookmarking-Diensten, der andere ein zentraler Pfeiler der eigenen KI-Strategie. Was bedeutet das für die langfristige Entwicklung?

Neue Realitäten

Dass bei Pocket irgendwas im Busch sein musste, wurde schon vor einiger Zeit deutlich. Das Verschwinden der Chrome-Erweiterung war das letzte Zeichen, aber auch die fehlende funktionale Parität zwischen der Webversion und den Apps, wo es die Collections zum Beispiel nie in die mobilen Apps geschafft haben, gaben mir damals schon zu denken. Dass Mozilla nun sein – vermutlich – stärkstes und bekanntestes Abomodell so kurzfristig und vorrangig abräumt, gibt darauf zwar einerseits eine gewisse Antwort, aber es wirft auch viele neue Fragen auf.

Immerhin sprach Mark Surman von Mozilla noch im Februar davon, dass Mozilla mit gewaltigem Gegenwind konfrontiert ist und das Überleben und der Einfluss auch davon abhängt, dass man kurzfristig die eigenen Einnahmen diversifiziert und verbessert. Dass Firefox im Zentrum der Bemühungen steht, ist dabei nichts Neues und wurde auch von früheren Führungskräften wie Mitchell Baker trotz erfolgter Strategiewechsel immer wieder betont. Dass man die Einnahmen kurzfristig trotz vorhandener Rücklagen für mehrere Jahre dennoch verbessern muss und gleichzeitig die Axt gerade bei den großen Abomodellen anlegt, macht aber einen gewissen Widerspruch deutlich. Nischigere Produkte wie MDN+ oder Firefox Relay wären vermutlich eher gehandelt worden.

Das Vorbild Thunderbird

Dabei findet man ein Beispiel, wie es trotz geringerer Ressourcen trotzdem funktionieren könnte, in der eigenen Organisation. Die MZLA Technologies Corporation ist nicht nur von den Mitarbeitern wesentlich kleiner als die Mozilla Corporation, auch Thunderbird hat monatlich mit derzeit 15,9 Millionen Nutzern eine wesentlich kleinere Basis als Firefox, der derzeit auf 156,9 Millionen Nutzer kommt. Damit ist Firefox um den Faktor 9,87 größer als sein kleiner Bruder aus früheren Tagen.

Dennoch arbeiten die Entwickler um Ryan Sipes sehr konsequent an einem eigenen Ökosystem, was über eine Abofinanzierung die weitere Entwicklung von Thunderbird absichern soll. Neben dem Maildienst Thundermail und dem Termindienst Appointment gehören auch der KI-Assistent Thunderbird Assist und der Filedienst Thunderbird Send dazu. Einen kostenlosen Tarif soll es erst geben, wenn die Finanzierung durch zahlende Nutzer ausreichend gedeckt ist. Damit ist das ganze Konzept nachhaltiger und man untermauert damit auch die ohnehin schon vorhandene Unabhängigkeit innerhalb der Organisation.

Politik und Profiteure

Unabhängig davon gerät Mozilla auch durch den Kurs der aktuellen US-Administration unter Donald Trump immer stärker unter Druck. Die Mozilla Foundation merkte dies bereits im April, als die Streichung von Fördergeldern in Höhe von 2,5 Millionen USD sowie möglichen weiteren Kürzungen von 1,05 Millionen USD offiziell wurde. Die Gelder waren für drei Jahre zugesichert und wichtige Projekte wie der Common Voice Corpus sind jetzt akut gefährdet. Die weitere Verunsicherung durch das laufende Kartellverfahren gegen Google kommt noch dazu.

Nebenbei wird das gesellschaftliche Klima für die Organisation, die eher dem progressiven Lager angehört, auch nicht leichter. Schwierige Debatten hat man bei Themen, die auch heute wieder kontrovers aus der rechtspopulistischen Mottenkiste heraus in den USA diskutiert werden, auch früher schon geführt. Ein gutes Beispiel war die kurzzeitige Ernennung von Brendan Eich als CEO im Jahr 2014, welcher bekanntlich anschließend Mozilla verließ und mit Brave Software sein eigenes Unternehmen gründete. Letzterer könnte ironischerweise gleichzeitig vom aktuellen Kurs der Trump-Administration besonders profitieren.

Das liegt weniger am Browser, der mit derzeit 84,8 Millionen Nutzern immer noch nur halb so groß wie Firefox ist und auch kein großartiges Wachstum mehr ausweisen kann. Das Unternehmen selbst hat Eich aber hervorragend und breit aufgestellt: Eigenes VPN, eigener Videotelefoniedienst, eigene Suchmaschine, eigene Ads-Plattform, eigener KI-Assistent, eine gebündelte Premium-Subscription und dazu der Browser, der seine Wurzeln im Kryptobereich nie verlassen hat. Der aktuelle Hype um Bitcoin, Dogecoin und – nicht zu vergessen – $TRUMP könnte hier noch lustig werden. Trotz der geringeren Nutzerzahlen beim Brave Browser selbst hat das Unternehmen jedenfalls eine Ausgangsposition, die Mozilla erst noch irgendwie aufbauen müsste.

Tektonische Risiken

Unabhängig von den Entwicklungen in den USA befindet sich Mozilla in einer Phase, die uns auch in Europa zunehmend Sorgen bereiten muss. Ein zentraler Grund dafür liegt vor allem bei Gecko, denn die Rendering-Engine ist für die weitere Entwicklung unabhängiger Webstandards von elementarster Bedeutung. Da helfen auch keine Träumereien und naiven Vorstellungen mancher in der FOSS-Szene, dass ein Hobbyprojekt wie Ladybird Gecko mal ersetzen oder eine unabhängige Community die gleiche Qualität wie Mozilla selbst leisten könnte. Dass eine Chromium-Monotonie ohnehin keine gute Idee ist, habe ich hier schon einmal verdeutlicht.

Aber auch technisch hat Mozilla durchaus eine Bedeutung hierzulande. Das finnische Mobilbetriebssystem Sailfish OS nutzt eine, wenn auch stark veraltete, Version von Gecko für die Webansicht. Außerdem arbeitete man bereits in der Vergangenheit zum Beispiel beim Project Bergamot, woraus letztlich Firefox Translations entstanden ist, mit europäischen Universitäten aus Estland (Tartu), Großbritannien (Sheffield, Edinburgh) und Tschechien (Charles Universität) zusammen und bekam dafür auch Fördergelder der EU.

Für Europa geht es weniger darum, dass die Innovationen bei den Webstandards durch die Chromium-Monotonie und die Bräsigkeit von Apple bei WebKit2 so gehemmt werden könnten, dass wir wieder in Zeiten wie beim Internet Explorer 6.0 zurückfallen. Gerade Firefox und Thunderbird spielen aber auch bei der digitalen Souveränität, die wir in Europa allgemein und in Deutschland im Speziellen anstreben, eine tragende Rolle. Es einfach nur so geschehen zu lassen, darf deswegen nicht im Interesse der Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und anderen Hauptstädten sein.

Fazit

Generell bin ich niemand, der künstlich schwarzmalen würde, aber was da gestern passiert ist, war definitiv kein gutes Signal und darf von den Nutzern im Gesamtkontext auch nicht unterschätzt werden. Durch die offizielle Kommunikation von Mozilla und verschiedene Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit wird klar, dass die Organisation zumindest einen zunehmenden Druck verspürt und gerade solche Entscheidungen wie bei Pocket, welches normalerweise als Abomodell eigentlich Geld in die Kassen spülen und den Druck damit mindern würde, werden nicht leichtfertig getroffen. Weitere Sparmaßnahmen, wo man zum Beispiel die Finanzierung anderer FOSS-Projekte über Mozilla Ventures auf den Prüfstand stellen muss, kann man deswegen nicht mehr ausschließen.

Ein Scheitern von Mozilla kann sich gerade Europa im ureigensten Interesse, auch wenn wir eigene Chromium-Browser wie Opera und Vivaldi haben, nicht leisten, und sei es nur, dass man das Argument von einem eigenen und unabhängigen Zugang zum Netz über Gecko nimmt, so wie es seinerzeit bei der Gründung der ESA und der Entwicklung der Raketenfamilien Ariane und Vega bereits einmal verwendet wurde. Vielleicht wäre es ohnehin eine gute Idee, wenn Mozilla, wenn es gar nicht anders geht, über einen Umzug seines Hauptsitzes nach Europa nachdenken würde. Dass wir sowas durchaus können, beweist u.a. die The Document Foundation, die als Mutterorganisation hinter LibreOffice ihren Sitz im hiesigen Berlin hat.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und für Entwickler zu berichten hat. Regelmäßige Beiträge aus meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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