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Streitpunkt: Ein Blick auf Artikel 11 und Artikel 13

Streitpunkt: Ein Blick auf Artikel 11 und Artikel 13

Während sich die Reform des Urheberrechts in der Europäischen Union aktuell auf der Zielgeraden befindet, spalten zwei der darin enthaltenen Artikel weiterhin die Massen. Die Rede ist natürlich von Artikel 11 und dem darin enthaltenen Leistungsschutzrecht sowie – ganz besonders – dem umstrittenen Artikel 13, der für viele Kritiker in direkter Verbindung zu drohenden Uploadfiltern steht. So unterschiedlich die Argumente beider Seiten auch sind, eines haben sie gemeinsam: Sie sorgen dafür, dass die Debatte unheimlich emotional geführt wird und für viele steht die große Zensurmaschine und das Ende des freien Internets schon vor der Tür.

Der Eine oder Andere von euch hatte uns schon öfter mal angesprochen, wie wir zu diesem Thema stehen, zumal es DrWindows als Seite natürlich auch betrifft. Deswegen werde ich mit diesem Beitrag mal versuchen, etwas allgemeiner und in sachlicher Form ein paar Antworten und Einschätzungen aus meiner Sicht dazu zu geben. Ich werde mich aber bewusst mit Bewertungen zu den aktuellen Protesten und den Reaktionen der Politik darauf zurückhalten. Bitte habt dafür Verständnis.

Allgemeines

In Deutschland gab es in den vergangenen 10 bis 12 Jahren immer wieder Vorstöße aus der Politik, die hierzulande für hitzige Diskussionen in der Netzpolitik gesorgt haben. Dazu gehörten natürlich die Vorratsdatenspeicherung, der Staats- bzw. Bundestrojaner, das im Jahr 2010 in Kraft getretene Zugangserschwerungsgesetz von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (Stichwort “Zensursula”), der Schutz von Whistleblowern nach den Enthüllungen von Edward Snowden, das Recht auf Vergessenwerden oder Kampagnen wie “Public Money, Public Code” der FSF, der politische Akteure mit Projekten wie Limux in München zunehmend gefolgt sind.

Auch das Leistungsschutzrecht gehörte zu diesen Themen, welches im nationalen Recht mehrmals krachend gescheitert ist und auf EU-Ebene nun als politischer Zombie seine erneute Auferstehung erlebt. Was für die Verlage, die immer noch den Denkmustern des 20. Jahrhunderts verfallen sind, wie die rettende Idee für eigentlich nicht mehr zeitgemäße Modelle wirkt, hat sich in der Praxis als zerstörerische Nebelkerze entpuppt. Hierzulande haben Unternehmen wie Axel Springer dies sehr schnell gemerkt, als der Traffic und damit die Besucherzahlen bei ihnen deutlich eingebrochen sind. Wenige Wochen später haben sie Google kostenlose Lizenzen eingeräumt und der vermeintliche Erfolg war damit wieder vom Tisch.

Dass es auf europäischer Ebene nun deutlich besser funktionieren soll, ist schlicht kompletter Unsinn und wirkt schon fast wie ziemlich schlechte Realsatire. Die Maßnahmen, die in Artikel 11 der kommenden EU-Urheberrechtsrichtlinie festgeschrieben wurden, werden nur eines bewirken: Wesentlich mehr Menschen und vor allem Verlage werden nun das zu spüren bekommen, was ihre deutschen Kollegen schon einmal erfahren durften. Die deutschen Vertreter rennen dafür erneut mit dem Kopf gegen die virtuelle Wand, weil sie aus ihren Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt haben. Letztlich ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Artikel 11 als erneuter Rohrkrepierer erweisen wird und die Verleger gegenüber ihren Trafficlieferanten erneut einknicken werden, um den Einbruch der Besucherzahlen abzufedern.

Artikel 13

Die Diskussionen um Artikel 13, der mit den drohenden Uploadfiltern in Verbindung gebracht wird, sind ungleich heftiger. Gleichzeitig ist damit ein großes Problem entstanden: Die Debatte wird mittlerweile unheimlich emotional geführt und viele wichtige Punkte fließen überhaupt nicht in den aktuellen Diskurs mit ein. Allerdings ist das eine notwendige Voraussetzung, denn wir reden hier von einem sehr komplizierten Thema, das gerade für Laien nicht einfach zu verstehen ist und die Gefahr von Fehlinformation entsprechend groß ist.

Was uns dabei im Ernstfall als Uploadfilter blühen könnte, ist im Grunde gar nicht so neu. Nutzer von YouTube und Twitch kennen entsprechende Systeme, die vorhandenes Material automatisiert überprüfen, schon seit etlichen Jahren. Bei YouTube ist es das Content ID-System, über das die YouTuber regelmäßig fluchen und was so zuverlässig funktioniert wie die Flugfähigkeiten eines Pinguins. Bei Twitch merkt man es vor allem dann, wenn bei den archivierten Streams nachträglich bestimmte Audioabschnitte rausgefiltert werden und das Video an der Stelle dann komplett stumm bleibt. Was in dem Punkt noch sehr vertraut wirkt, zeigt allerdings auch die großen Schwächen der Systeme. Es gab bei YouTube auch schon Fälle, wo das natürliche Rauschen des Windes oder das Zirpen einer Grille zum Claim oder Strike auf ein Video geführt haben.

Das Ende von YouTube

Etwas, was mich aktuell ganz besonders ärgert, ist dabei die Art und Weise, wie YouTube und auch bestimmte YouTuber mit größerer Reichweite mit dem Thema umgehen. Nun ist es kein großes Geheimnis, dass YouTube schon immer wusste, welche Knöpfe es drücken musste, um seine Nutzer zu mobilisieren und damit dann indirekt auch eigene Interessen durchzusetzen. Mit dem aktuellen Anschub sind Susan Wojcicki und auch manche YouTuber aber deutlich über das Ziel hinaus geschossen und verwässern damit den Blick auf wichtige Tatsachen, die in dieser Hinsicht ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.

Damit man die Sachlage richtig einordnen kann, muss man wissen, wer hinter einem Großteil der YouTuber eigentlich steht. Viele YouTuber werden heutzutage von Netzwerken wie Studio 71 (alias ProSiebenSat.1), Agenturen oder professionellen Managern direkt vertreten oder arbeiten mit großen Unternehmen wie Saturn oder Vodafone ganz selbstverständlich und regelmäßig zusammen. Publisher wie Bethesda oder Ubisoft unterstützen oder tolerieren das Streamen oder Let´s Playen ihrer Titel, wieder andere Unternehmen wie Microsoft oder die Amazon-Tochter Audible sponsern mal ein Video oder unterstützen gleich den Aufbau einer ganzen Community ganz direkt wie Microsoft mit den Coding-Streamern. Sowas macht heute den Löwenanteil auf YouTube und auch Twitch aus und entsprechend dürften sich die Plattformen visuell in der Hinsicht nicht wirklich verändern.

Entscheidend ist aber auch, was YouTube ganz bewusst nicht sagt und was auch schon ohne Artikel 13 für genug Probleme sorgt. Neben dem komplett kaputten YouTube-Algorithmus, den eigentlich niemand so richtig nachvollziehen kann, gehört dazu auch das Problem mit den immer weiter sinkenden Werbeeinnahmen und der zunehmenden Demonetarisierung von Videos, was als Adpocalypse mittlerweile schon Schule gemacht hat. Hinzu kommen technische Pannen wie damals bei YouTube Kids, wo – freundlich formuliert… – nicht kindgerechte Videos geschaltet wurden, oder die Schaltung von Werbung vor eher zweifelhaften Vertretern. Außerdem darf man nicht vergessen, dass YouTube durchaus etliche Verträge oder zumindest Kooperationen mit Lizenzgebern abgeschlossen hat, die auch für Deutschland gelten. Ansonsten hätten wir heute ohne die Einigung mit der Gema immer noch die Sperrtafeln vor Musikvideos und YouTube hätte seinen Angriff auf Netflix oder Twitch durch die jeweiligen Derivate niemals starten können.

Die Folgen von Artikel 13

Dass Artikel 13 in seiner aktuellen Form kompletter Murks ist und für das freie Internet durchaus eine Gefahr darstellen kann, ist klar. Trotzdem wird momentan zu sehr im Konjunktiv gesprochen, anstatt wirklich mal sachlich eine echte Abschätzung der Folgen vorzunehmen. Tatsache ist, dass vor allem kleine und mittlere Unternehmen durch die willkürlichen Ausschlusskriterien die großen Verlierer sein werden. Da hierfür sämtliche Kriterien erfüllt sein müssen, kann das für Startups im Wettbewerb mit den großen US-Konzernen eine echte Innovationsbremse sein und die Wettbewerbsfähigkeit schlichtweg abwürgen, sofern man nicht schon ein echtes internationales Schwergewicht wie Spotify oder SAP ist.

Bei den großen Konzernen dürfte das nach meiner Auffassung allerdings etwas anders aussehen. Das hat einen einfachen Grund: Das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Verwertern und Medienkonzernen auf der einen und den großen Netzwerken auf der anderen Seite ist vergleichbar mit dem Leistungsschutzrecht. Plattformen wie Facebook, Instagram, Twitter, YouTube oder WhatsApp machen nichts anderes wie Google oder Bing als Suchmaschinen bei den Verlagen: Sie sind mittlerweile der heiße Draht zum normalen Endkunden, dienen als große Werbeplattform und liefern vor allem den Traffic und die Aufmerksamkeit, von denen die anderen Unternehmen leben. Bricht das durch die Folgen von Artikel 13 weg, brechen auch die Visits und damit letztlich große Teile der Einnahmen ein und die Kontrahenten von Facebook oder Google wären zum Einlenken gezwungen.

Außerdem darf man nicht vergessen, dass neben etlichen Politikern vor allem auch zunehmend die Medienindustrie kalte Füße vor Artikel 13 bekommen. Gerade bei YouTube besteht da ein “Gleichgewicht des Schreckens”, bei dem der eine nicht ohne den anderen kann, zumal Europa all die Jahre über nicht ansatzweise was Gleichwertiges auf die Beine gestellt hat. Selbst wenn Artikel 13 also käme, kann man getrost davon ausgehen, dass in den Hinterzimmern schon die Drähte glühen und miteinander verhandelt wird, damit sich die Konzerne da nicht vollends ins Knie schießen. Was im Übrigen eine gewisse Ironie hätte, weil Artikel 13 damit – weitestgehend – vom Schreckgespenst zum eigentlich zahnlosen Tiger wird und Unterhändler wie Axel Voss dann dastehen wie der letzte Esel, aber das ist ne andere Geschichte…

Und ihr?

Was offen bleibt, ist die Frage, wie es den unabhängigen Medien wie den Bloggern, wie wir es sind, ergehen dürfte. Aber auch hier bin ich eher guter Dinge, dass das genau wie die DSGVO relativ spurlos an uns vorüberziehen wird. Grundsätzlich ist es ohnehin üblich, dass man bei Bloggern die Recherche des anderen durch gegenseitige Verlinkung entsprechend würdigt, wenn man einen Beitrag schreibt, und Ähnliches haben auch größere Medien wie Golem, Heise und WinFuture seinerzeit schon kostenlos erlaubt, als bei uns national erstmals das Leistungsschutzrecht eingeführt wurde und die Debatte zu Verlinkungen aufflammte. Die Stimmung ist auch heute wieder ähnlich. Hinzu kommen andere Sachen wie bestimmte Lizenzen, auf die ich mich etwa bei OpenSource-Projekte berufen kann, oder Entwickler/Gastautoren, die uns direkt anschreiben. Da uns persönlich auch Microsoft noch nicht in die Wüste geschickt hat, sollten wir da also ganz optimistisch sein.

Man muss eines klar sagen: Wir brauchen ein modernes Urheberrecht für den digitalen Raum, was auch Bereiche wie das Zitatrecht, das Recht auf Privatkopie oder ggf. Fair Use klar regelt, und das heutige Urheberrecht ist dem einfach nicht mehr gewachsen. Wir brauchen mit Sicherheit aber nicht den Unsinn, der demnächst im Europaparlament zur Abstimmung stehen dürfte, gerade was Artikel 11 und Artikel 13 anbelangt. Die Frage wird nur sein, ob die Politiker ihren Murks selber revidieren oder ob es an den Nutzern, Juristen und Seitenbetreibern liegen wird, den Unrat zusammen zu fegen. Wichtig ist aber so oder so, dass die wirklich sehr wichtige Debatte nicht komplett emotional geführt. Wie so oft liegt die Wahrheit am Ende dann doch irgendwo in der Mitte.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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