@Kevin Kozuszek
Ich muss ehrlich sagen, dass ich die Performance nie für ein Problem hielt. Entweder war mein Rechner so lahm, dass Chrome auch lahm war oder die Website war Schuld. Messbare Unterschiede gabs sicher, aber nutzbare? Schau dir meinen Backofen an, wie lange der zum "booten" braucht. Da ist jede Website unter Firefox ein Witz...
Aber
@Webwatcher hat halt Recht, dass sehr viel unnötige Änderungen vorgenommen worden sind, die viele Nutzer nach und nach vergraulen. Kleine Features gehen nach und nach verloren, die gerade Powernutzer vermutlich gern nutzen. Falls man sie kennt... wie ich leidlich feststellen musste, kennt nichtmal Sören Hentzschel meine meistgenutzten Features... Und da geht das Problem dann wohl los. Ich hab als Powernutzer die Telemetrie abgeschalten. Nun habe ich sie extra wieder aktiviert in der Hoffnung, dass es etwas ändert. Bugzilla wird ja ignoriert, also nicht wirklich ignoriert, es wird ja arrogant alles abgeschmettert, was nicht zur internen Planung passt (Sicherheitslücken sicher ausgenommen).
Ich kann den Frust, den viele Poweruser bei Mozilla haben, auch absolut nachvollziehen, glaubs mir. Es gibt genug Punkte, wo ich mir bei Mozilla auch einfach nur noch an den Kopf fassen musste, etwa die im Vergleich zu Chromium miserable Implementierung von DNS-over-HTTPS, die Kindersicherungen umgeht/aushebelt und wo ihr einziger Lösungsvorschlag damals darin bestand, Kindersicherungen einfach abzuschalten, oder die Looking Glass-Geschichte, wo ich mich bis heute frage, was das sollte. Sind auch nur zwei Beispiele.
Trotzdem sind die Leute in manchen Punkten auch unfair gegenüber Mozilla. Dass Firefox vor Version 57.0 unerträglich fett und langsam war, darüber brauchen wir uns wohl nicht zu unterhalten, aber damit die dafür notwendigen Änderungen am Unterbau vollzogen werden konnten, um einen großen Performancesprung zu erreichen, waren sowas wie Stylo, WebRender, Rust und die WebExtensions notwendig. Kann man verstehen, dass Firefox durch die Abkehr von XUL, XBL und XPCOM an Anpassbarkeit eingebüßt hat (über wie viel kann man streiten) und sowas den Poweruser frustriert? Sicherlich. Aber die drei waren nicht nur extrem mächtig, sie waren durch ihre tiefen Eingriffe in die Codebase irgendwann auch ein riesiger unwartbarer Haufen an Legacy-Code, den Mozilla selbst kaum noch überblicken konnte. Auch das war ein Grund, weshalb sie sich lieber dafür entschieden haben, sauber anzufangen. Wenn eine Codebase zu komplex wird (Firefox hat nach allem, was ich weiß, aktuell etwa 30 Millionen Lines of Code), steigt auch die Gefahr für schwere Sicherheitslücken, die dann aber vielleicht nicht mehr so leicht gefunden werden können. Und wie gesagt, manche Nutzer haben das mit dem Dichtkleistern von Addons etc. zum Teil auch selbst vergeigt, sodass Firefox langsam wurde.
Ich schaue selbst immer Mittwochabend um 19.00 Uhr mit The Joy of Coding einen Stream vom Firefox-Entwickler Mike Conley und er hatte in einer Folge letztens auch über die Thematik gesprochen, weil da Fragen zu aufkamen. Dass die Diskussion mit so manchem Vertreter aus der Community unheimlich anstrengend sein kann und ich bei einzelnen Leuten auch schon innerlich die Faust geballt habe, gebe ich offen zu. Aber wie sollen die Entwickler helfen, wenn sie teilweise (!) keine vernünftigen Bugreports bekommen, sich stattdessen beleidigen und anschreien lassen müssen (wenn jemand bei Bugzilla ignoriert wird, ist das meistens einer der Gründe, und dann ist das auch verständlich), bei Leistungsproblemen keine entsprechenden Performance Profiles über den Firefox Profiler bekommen oder die Nutzer auch sonst keine brauchbaren Informationen liefern, dafür von den Entwicklern aber den Schuss ins Blaue erwarten? Wie gesagt, ich will Mozilla nicht groß in Schutz nehmen, aber zu sowas gehören auch immer zwei und so Manches ist von der Nutzerseite auch nicht in Ordnung. Außerdem ist Mozilla auch eher klein und dass die Entwickler dann Prioritäten setzen müssen (obs die falschen sind, sei mal dahingestellt), ist auch eher normal. Wenn du außerdem eine stark modifizierte userChrome.css hast und auch sonst viel in about:config eingestellt wurde, kannst du von Mozilla da auch keinen Support erwarten, wenn es Probleme gibt. Das liegt auch nicht an Boshaftigkeit, sondern die Veränderungen sind dann einfach dermaßen speziell und individuell, dass die Entwickler das dann nicht mehr wirklich reproduzieren können und die Leute das dann entsprechend auf eigenes Risiko machen. Das geben die Entwickler auch offen zu.
Dann kommt immer wieder die Frage, warum sich Mozilla nicht auf seine Kernprodukte konzentriert oder warum man für einen Browser so viel Geld braucht (mal abgesehen von den nicht verständlichen Gehaltssteigerungen in der Chefetage, die ich auch nicht gut finde). Erstens konzentriert sich Mozilla auf seine Kernprodukte, denn sonst hätten sie nicht so viele Nebenprojekte wie WebThings, Firefox Lite oder Firefox für Amazon Fire TV mittlerweile abgesägt. Und zweitens hatte Mozilla immer weit mehr Projekte als nur Firefox und Thunderbird. Firefox ist ein
kommerzielles Projekt eines
kommerziellen Tochterunternehmens der
gemeinnützigen Stiftung. Das Gleiche gilt für Thunderbird (wobei das ein Sonderfall ist, denn die MZLA Technologies Corporation agiert vom sonstigen Mozilla extrem unabhängig), Pocket, Mozilla VPN, Firefox Relay, Hubs Cloud und den anderen Projekten, die Mozilla noch so hat. Diese Projekte haben die Aufgabe, Geld in die Kassen von Mozilla zu spülen, auch wenn sie (in einem gewissen Rahmen oder zumindest teilweise) für die Nutzer kostenlos sind. Warum wollen die Nutzer den Töchtern von Mozilla das verwehren, was bei anderen OSS-Unternehmen wie Nextcloud, SUSE, Purism etc. normal ist und wo sich keiner beschwert? Irgendwo ist auch das Heuchelei. Dann kann man sagen, dass man aber an Mozilla spenden kann? Ja, kannst du, wenn du die politische und gesellschaftliche Arbeit der Mozilla Foundation unterstützen möchtest und es dir weniger um Firefox und die anderen Projekte geht. Geht es dir um Firefox etc., zählt nur der harte Euro und das sind eben die Abodienste. Aber Mozilla ist doch Non-Profit? Ja, auch das stimmt, das Steuerrecht lässt grüßen. Mozilla hat offiziell keine großen externen Investoren (dafür eine zu große Abhängigkeit von Google) und muss nicht auf dem Rücken der Nutzer auf Biegen und Brechen Gewinnmaximierung betreiben. Sie müssen aber trotzdem Geld verdienen, um die Angestellten zu bezahlen. Von Luft und Liebe leben die auch nicht, und so schließt sich dann der Kreis.
Das große Problem ist, dass sich Mozilla als Entwickler auf der einen und die Community auf der anderen Seite nicht mehr auf Augenhöhe begegnen und es wie bei anderen OSS-Communities nur noch in ein Hauen und Stechen ausartet. Da müssen sich de facto beide Seiten bewegen, und was die Community ansonsten an Lösungen präsentiert, sind einfach keine. SeaMonkey? Ist de facto eigentlich tot. Waterfox? Hat auch seine Probleme. Pale Moon, Basilisk und UXP? Das ist exakt die schlimmste Variante, weil die Leute da sämtliche Gewinne bei Performance und Sicherheit abstreiten, lieber alte und bewiesen riskante Technologien inkl. Flash weiter fördern wollen, sich dann aber beschweren, warum die breite Masse sie nicht ernst nimmt und die Webkompatibilität flöten geht. Auf ner alten Version bleiben? Gleiches wie bei UXP, wenn es dir um Webkompatibilität und reines Surfen geht, musst du erst recht aktualisieren. Oder man wechselt zu Brave, dem großen OSS-Newcomer mit rund 34 Millionen Nutzern, der so viel besser als Firefox ist, obwohl er auf Chromium basiert. Blöd halt nur, wenn der Druck, seine Nutzer maximal zu monetarisieren, durch das viele Risikokapital sehr groß ist, Investoren von fragwürdigen Überwachungsapparaten wie Palantir mit drin hängen und auch sonst Unternehmen wie Hubert Burda Media ihre Finger mit im Spiel haben. Letztlich kannste das drehen und wenden, wie du willst, man ist bei Mozilla trotzdem noch am Besten aufgehoben.
Wie gesagt, ich kann viele Sachen verstehen und war/bin bei Mozilla auch selbst (schon) gefrustet, aber es gibt gewisse Punkte in der Debatte, die werden auch von den Nutzern zu einseitig auf- und wahrgenommen. Wie so oft gibt es da eben keinen einfachen Grund und keine einfache Antwort, das Ganze ist wesentlich komplexer, als man es erstmal denkt. Das muss man immer mit vor Augen haben, wenn man sich damit auseinandersetzt, und das ist das, was ich sowohl bei den Mozillians als auch bei den Nutzern mittlerweile in einigen Bereichen sehr vermisse.