@Timewalker
Letztlich betrachtest du das Ganze aus einem Blickwinkel von jemandem, der sowieso in der Microsoft-Community samt der Windows-Bubble zu Hause ist und deswegen sowieso ganz eigene Vorstellungen formulieren würde. Am Ende hat die große Mehrheit aber andere Anforderungen und man hat in der Vergangenheit schon oft genug gesehen, dass als Beispiel Universal Apps die klassischen Win32-Apps nicht verdrängen konnten, dass MSIX als Installationsformat sich nicht auf breiter Front gegen .exe und .msi durchsetzen konnte oder dass Unternehmen immer noch Bedarf für die Rendering-Engine Trident und JavaScript-Engine Chakra anmelden. Deswegen gibt es den IE-Modus noch, der aber nur aktiv wird, wenn man ihn explizit über Microsoft Edge konfiguriert. EdgeHTML als Vorgänger spielt überhaupt keine Rolle mehr.
Man kann in dem Kontext übrigens sehr gut einen Vergleich mit Linux anstellen, weil die Nutzer dort aktuell was Ähnliches durchmachen. Nachdem sich dort weitgehend ein Konsens an Grundkomponenten wie systemd oder Pulseaudio durchgesetzt hatte, die auch die breite Masse akzeptieren konnte, kamen die universellen Formate einerseits mit den AppImages, die weitgehend unseren portablen Apps entsprechen, und vor allem Snaps und Flatpaks (vs. .deb, .rpm etc.), die mit unseren Universal Apps und vor allem der Debatte MSIX vs. .exe/.msi vergleichbar sind. An dem Punkt ist Windows auch gerade. Jetzt deutet sich bei Linux aber der nächste Schritt mit den sog. Immutable Systems, also unveränderlichen Systemen, an. Wenn sich das mal durchsetzen sollte, geht das weiter als das, was du für Windows forderst, aber es ziehen schon jetzt große Widerstände in der Linux-Community dagegen auf. SUSE und Red Hat machen dahingehend jetzt die ersten Schritte mit ersten Ergebnissen in wenigen Jahren, Canonical entwirft für Ubuntu sogar gerade erst die Pläne. Und bei Windows wäre ein solcher Schritt ungleich schwerer durchzusetzen.
Die Vergleiche, die du sonst ziehst, weisen im Übrigen auch in eine falsche Richtung. Bei der Benutzeroberfläche hatte ich das in der Vergangenheit schon öfter gesagt: Windows 11 ist das Produkt aus den Neuerungen, die Microsoft sowieso für Windows 10 bringen wollte, und der Oberfläche von Windows 10X, die sie nach dem erneuten Fehlschlag nicht gleich wieder in die Tonne treten wollten. Auch die erhöhten Hardwareanforderngen kamen nicht aus dem Nichts, sondern bestimmte Sachen wie TPM 2.0 galten optional teilweise schon seit etlichen Jahren auch für Windows 10, das war für Microsoft nur eine willkommene Gelegenheit, das wegen der Pandemie-Situation auch zu forcieren und mehr Kasse zu machen. Was Notepad angeht, kann ich dir das sogar ganz direkt sagen, weil Microsoft sich damals über die sozialen Kanäle an die Community gewandt hat und ich mich auch an der Diskussion beteiligt hatte. Viele Nutzer hatten Funktionen wie Zeilennummern oder Tabs gewünscht, wovon sie offensichtlich ja auch was aufgegriffen haben. Teilweise war aber auch die Antwort bzw. die Nachfrage, warum man für bestimmte Funktionen, wenn man sie braucht, dann nicht Visual Studio Code installiert. Microsoft betrachtet Visual Studio Code auch als Werkzeug der Wahl für die Leute, die den großen Umfang von Visual Studio nicht brauchen, aber mehr Funktionen als bei Notepad erwarten, das hauptsächlich für die Aufgaben Marke "quick and dirty" gedacht ist und sowas eben Grundausstattung in jedem Betriebssystem ist. Für Paint kann man Ähnliches sagen. Den Verweis zu Paint.NET kann ich verstehen, zumal indirekt Verbindungen zu Microsoft bestehen (Rick Brewster hat 10 Jahre für Microsoft gearbeitet), und Microsoft hatte selbst auch schon sehr leistungsfähige Grafikwerkzeuge wie Expression Design. Aber wie gesagt, auch von Paint wird letztlich nur "quick and dirty" erwartet.
Wir können diese Diskussion jetzt auf ewig führen, aber es ändert nunmal nichts an der Tatsache, dass Windows ein System der Kompromisse ist, sein wird und sein muss. Fairerweise passiert, obwohl Microsoft normalerweise wirklich nur mit Trippelschritten vorwärts geht, aktuell relativ viel, unter anderem wird File Explorer aktuell auf eine komplett neue technische Basis gestellt. Das sind Zwischenschritte, aber es sind welche. Und ja, sie könnten theoretisch auch mehr machen. Sie sollten eine Möglichkeit schaffen, die einen leichteren Übergang von .exe und .msi zu MSIX als einheitlichem Format erlaubt, dass die moderne PowerShell die ältere Windows-PowerShell auch zentral im System ablöst oder dass der IE-Modus langfristig obsolet werden sollte. Gleichzeitig kann man auch die Entwicklung einzelner Apps hinterfragen, ob sie so Sinn machen, eben wie die M365-App für Windows, den 3D-Viewer oder u.U. auch die Xbox Game Bar.
Letztlich wird es aber nur schrittweise weitere Veränderungen geben, keinen ganz großen Aufschlag. Das ist einfach so. Einerseits müssen die ganz normalen Ottonormalnutzer mitspielen und dürfen nicht überfordert werden, zum anderen dürfen sie den Unternehmen nicht die Knarre an die Schläfe halten. Gerade dann können sie nur verlieren. Und vor allem müsste der Schwerpunkt wirklich wieder mehr auf Windows als solches gelegt werden. Wird er aber nicht, die Schwerpunkte sind nunmal Microsoft 365, Microsoft Azure und KI.