Wahrscheinlich kennt sich kein Mensch so gut mit Linux aus wie Michael Kofler.
Durchaus eine interessante Zusammenfassung, die er geschrieben hat, aber es geht trotzdem noch ein bisschen an der aktuellen Problematik vorbei, die man u.a. auch bei den Entlassungen der russischen Kernel-Entwickler wieder gesehen hat. Die Linux-Community ist ja eine sehr heterogene Gemeinschaft, aber zwei der ganz großen Flügel waren schon immer die Pragmatiker, zu denen ich und die meisten von euch auch gehören, und die Ideologen. Momentan hat man in den ganzen Kommentarbereichen das Gefühl, dass die Ideologen aktuell wieder mehr Oberwasser bekommen.
Dass der Linux-Kernel so gut betreut ist, hat in ganz wesentlichem Maße damit zu tun, dass Unternehmen wie Google, Oracle, IBM bzw. Red Hat, Intel, Microsoft, Nvidia, SUSE, Canonical oder Qualcomm aus verschiedensten Gründen - von der Cloud über allgemeine Betriebssysteme wie Android bis hin zum klassischen Server - ein Interesse an ihm haben und deswegen Entwickler abstellen, die Patches beisteuern. Ohne sowas würde Linux nicht überleben. Wenn ich jetzt schon lese, dass Linux seine Ideale verraten hat (die Linux Foundation kann und darf sich Sanktionen nicht entziehen) und man den Kernel sofort forken muss (reicht Linux Libre nicht?), ist das irgendwo zwischen anmaßend und ambitioniert (?) angesiedelt.
Abseits von Linux als Kernel setzt sich das ja fort. Dass Gaming auf Linux mittlerweile so viel besser geworden ist, hat vor allem mit der Arbeit zu tun, die Valve da über Jahre reingesteckt hat. Dass es LibreOffice immer noch einigermaßen gut geht, hängt nicht unwesentlich mit den Beiträgen von Collabora zusammen. Dass es immer noch eine relevante und unabhängigere Browser-Engine gibt, liegt an der Arbeit der Mozilla Corporation (nicht Foundation, ganz wichtig!). Dass auch der Ottonormalnutzer schnell an funktionierende Linux-Rechner kommen könnte, ist OEMs wie Dell, Tuxedo oder System76 zu verdanken. Dass es gute Entwicklerwerkzeuge für Linux gibt, hat auch mit Leuten wie Microsoft, Google oder JetBrains zu tun. Und so weiter...
Die Gruppe der Pragmatiker wird man davon nicht überzeugen müssen, nur die Gruppe der Ideologen sollte sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Relevant ist eben auch, dass alle Unternehmen ebenfalls die wirtschaftlichen Spannungen spüren, wo sie ihre Investitionen abwägen und darauf konzentrieren, wo mögliches Geld wirklich noch zu holen ist. Linux ist in seinem Marktanteil erfreulicherweise zwar gewachsen und funktioniert am Desktop auch immer besser, keine Frage, aber es ist nicht groß genug, um hier Werbung in eigener Sache zu machen, ganz anders eben als in der Cloud oder bei Servern. Was hier in den vergangenen Jahren erreicht wurde, kann in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten auch ganz schnell wieder vorbei sein, weil die Investitionen woanders gebraucht werden.
Und wie gesagt, unpolitisch und unabhängig ist das Engagement bei FOSS und Linux eigentlich nie gewesen. Organisationen wie die Mozilla Foundation oder die Free Software Foundation machen politische und gesellschaftliche Arbeit. Dann hast du Extremfälle wie Coraline Ada Ehmke und ihr Ethical Source Movement. Und selbst im Kleineren gibt es Menschen, die ihre Freiheitsambitionen eben von Linux auch auf andere Bereiche wie Waffenrechte ausdehnen. Ich zeig euch nur mal ganz exemplarisch ein Video von einem der größten Linux-YouTuber überhaupt, wie er sich damals nach der Suspendierung um Richard Stallman geäußert hat.
Es ist eben ein Beispiel und zugegeben auch sehr amerikanisch angehaucht, aber fehlende Abgrenzungen zu schwierigeren Themen findet man bei den ideologisch angehauchten Leuten eben relativ oft. Den Pragmatikern wiederum geht es viel mehr um die zusätzliche Kontrolle, die quelloffene Software gegenüber kommerziellen Closed Source-Angeboten bieten kann (!), aber wenn solche Software trotzdem mal gebraucht wird, geht für diese Gruppe nicht gleich die Welt unter. Das sind eben die Unterschiede.