Am Puls von Microsoft

Wie Microsoft sich seinen Ruf als E-Mail Anbieter ruiniert

Wenn ich derzeit sagen würde, dass Microsoft ein hervorragender E-Mail Anbieter ist, dann würden mich vermutlich eine ganze Menge Leute verdutzt anschauen, und einige würden mich vielleicht sogar fragen, ob ich noch alle Latten am Zaun habe. Das Kuriose ist, dass ich hinter der ersten Aussage stehe, diese Leute aber trotzdem alle Recht hätten. Denn Microsoft ist auf dem besten Weg, sich seinen Ruf als E-Mail Anbieter nachhaltig zu ruinieren.

Vor viereinhalb Jahren begann der Versuch, alles besser zu machen. Man legte den alten Namen “Hotmail” ab, an dem seit Ende der 90er Jahre wegen der damals furchtbaren Spam-Probleme immer ein negativer Touch hängen geblieben war, und schickte Outlook.com an den Start. Mit Gmail hatte man inzwischen einen (über)mächtigen Konkurrenten, an den man auch unter neuem Namen nie so richtig Anschluss fand. Es gab immer wieder Kritik wegen fehlender Features, und auch die Zuverlässigkeit war nicht die beste.

Im Mai 2015 kündigte man ein modernes, runderneuertes Outlook.com an, welches außerdem auf der bewährten Infrastruktur von Office 365 aufsetzt. Es schien eine großartige Sache zu werden, und ich freute mich sehr darauf. Während ich von Outlook.com bis dahin nicht allzu viel hielt, war ich gleichzeitig ein begeisterter Office 365 Business-Kunde.

Was danach folgte, war jedoch ein grauenhaftes Desaster. Die Migration verzögerte sich ein ums andere Mal und dauerte mehr als eineinhalb Jahre – mit dem Ergebnis, dass es jetzt mehr Klagen gibt als jemals zuvor.

Es begann damit, dass bei sehr vielen Nutzern im Zuge der Umstellung die Kontaktbilder verloren gingen. Teilweise tauchten sie wieder auf, teilweise aber auch nicht. Die nicht mehr funktionierende Synchronisation im stationären Outlook-Client konnte man leicht durch eine Neu-Einrichtung des Kontos beheben, gesagt hat das Microsoft den Nutzern aber nicht. Dabei wäre das einfach gewesen, man hatte ja schließlich deren E-Mail-Adressen (Nachtrag hierzu: In den Kommentaren haben sich einige Leute gemeldet und angegeben, dass sie sehr wohl eine Benachrichtigung nebst Anleitung erhalten haben).

Die Kommentare im heutigen Artikel zum Update der Mail-App liefern einen guten Querschnitt über alles, was derzeit nicht funktioniert. Es beginnt schon damit, dass der “Posteingang mit Relevanz” anscheinend willkürlich bei manchen Konten funktioniert und bei manchen wiederum nicht. Andere beklagen die unzuverlässige und bisweilen vollständig streikende Synchronisation. Und auch der “Klassiker” mit den Kontaktbildern taucht dort auf. “Geburtstage” und “Filter” sind weitere Reizworte, mit denen man Outlook.com Nutzer leicht auf die Palme bringen kann.

Mein Lieblingsproblem ist derzeit, dass die Kalenderfreigabe für den Dr. Windows Kalender nicht mehr funktioniert. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Auch ein erneutes Einrichten der Freigabe nutzte nichts. Inzwischen kann ich die Seite, auf der die Freigaben gemacht werden, in meinem Outlook.com Konto nicht einmal mehr aufrufen – sie lädt sich tot und zeigt niemals etwas an. Weil ich außerdem auf drei Geräten grundsätzlich unterschiedliche Inhalte in meinem Posteingang hatte, habe ich nun das getan, was ich im letzten Jahr schon bei OneDrive getan habe, als mir die Probleme zuviel wurden: Ich habe den Stecker gezogen und nutze Outlook.com überhaupt nicht mehr. Rückkehr wie im Falle OneDrive nicht ausgeschlossen, aber für den Moment tue ich mir das nicht mehr an. Mit anderen Nutzern, die sich wegen der fortgesetzten Probleme nach Alternativen umsehen, wird Microsoft weniger Glück haben.

Vielleicht liest du das und denkst “wovon redet der, bei mir ist alles super”. Ja, auch diese Fälle gibt es, und vermutlich funktioniert Outlook.com sogar bei der Mehrheit der Nutzer prima, dennoch lässt das öffentlich spürbare Feedback nur den Schluss zu, dass die Menge der Probleme und die Zahl der davon betroffenen Nutzer größer sind als jemals zuvor.

Eigentlich können sie es
Das wirklich Fatale ist: Ich bin wie angesprochen seit Jahren Kunde von Office 365 Business, und all die Probleme, von denen ich bei Outlook.com gehört und selbst erlebt habe, sind mir dort völlig fremd. Mein Office 365 Mailkonto schnurrt wie ein Kätzchen.
Die Hoffnung, dass bei Outlook.com mit der Migration auf die neue Infrastruktur alles besser wird, hat sich in Luft aufgelöst. Es wurde schlimmer. Und das wiederum kann zum bösen Bumerang werden. Nämlich dann, wenn potenzielle Office 365 Kunden sagen: Ich habe mit meinem privaten Postfach bei Microsoft schon genug Probleme, das muss ich mir nicht auch noch geschäftlich antun. In dem Fall kann den Redmondern ihre “Business hui, Consumer pfui”-Strategie ganz schwer auf die Füße fallen. Die unterschiedliche Service-Qualität bei den E-Mail-Diensten taugt als wunderbares Beispiel dafür, dass diese strikte Trennung der Zielgruppen ein fataler Fehler ist.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

Anzeige