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900 Millionen Dollar Verlust mit dem Surface RT – wie schafft man sowas?

Gestern hat Microsoft die Zahlen für das vierte Quartal seines nunmehr beendeten Geschäftsjahres vorgelegt. Dass es insgesamt ein Gutes war und man unter dem Strich satte 5 Milliarden Dollar netto verdient hat, geriet aber angesichts einer anderen, beinahe unglaublichen Zahl zur Nebensache: 900 Millionen Dollar musste Microsoft für auf Lager liegende, aber nicht verkaufte Surface RT Tablets abschreiben.
Nun ist man vielleicht geneigt zu sagen: Kein Wunder, das Ding verkauft sich ja auch schlecht. Leider richtig, und es ist kein Geheimnis, dass ich selbst das gar nicht verstehen kann, wo ich mein Surface RT gegen kein anderes Tablet eintauschen würde. Aber lassen wir die Frage, warum sich das Surface schlecht verkauft, einfach mal beiseite, und fragen uns viel mehr: Wie schafft man es, einen solch ungeheuren Verlust einzufahren?
Mit schlechten Verkaufszahlen alleine ist das nämlich nicht zu machen, da muss man schon richtig daneben greifen.

Wie viele Surface Tablets Microsoft noch auf Halde liegen hat, kann man nur schätzen – dazu müsste man wissen, welchen Wert man bei der Abschreibung angesetzt hat. Selbst wenn man aber den aktuellen Verkaufspreis von 350 Dollar ansetzt, kommt man auf 2,5 Millionen Stück – das dürften weit mehr sein, als man bis jetzt insgesamt verkaufen konnte.

Ein solcher Lagerbestand wäre zu erklären, wenn man bereits vor der Markteinführung wahre Unmengen produziert hätte, die man nachher nicht los wurde. Aber wir erinnern uns: Zum Start am 26. Oktober 2012 gab es unglaubliche Engpässe, nicht ein einziges Gerät konnte Microsoft in Deutschland pünktlich ausliefern.
Daraus schließe ich, dass die Produktion erst so richtig auf Hochtouren gefahren wurde, nachdem bereits abzusehen war, dass die Verkaufszahlen nicht den Erwartungen entsprechen. Dafür habe ich dann wirklich keine Erklärung mehr.
Selbst ohne die exakten Zahlen zu kennen, kann man wohl davon ausgehen, dass Microsoft hier sehenden Auges in ein finanzielles, fast milliardenschweres Desaster geschlittert ist. Dafür sind in anderen Firmen schon Köpfe gerollt.

Ich drehe den Spieß mal um und frage: Wie hätte man die Einführung des Surface RT angehen können, wenn man die 900 Millionen Dollar Verlust gleich von Anfang an eingeplant hätte? Nur mal so als Rechenbeispiel: Hätte man das Surface RT statt für 479 für 249 Dollar angeboten, hätte man fast vier Millionen Geräte verkaufen können, um diese Summe zu verlieren. Und das wäre dann nur entgangener Umsatz gewesen, der echte Verlust wäre viel kleiner ausgefallen.
Im Gespräch mit Mary Jo Foley äußerte sich der für das Surface Marketing zuständige Brian Hall, dass man viel mehr Surface Nutzer benötige, um der Nachfrage durch Weiterempfehlung eine Eigendynamik zu verleihen.
Man weiß bei Microsoft also, wie es funktioniert. Warum hat man denn nicht gleich danach gehandelt? Zu große Angst vor tobenden OEMs wie Acer?

Die Preisnachlässe, die Microsoft jetzt auf das Surface RT gewährt, wirken wie ein verzweifelter Versuch, die Lagerbestände zu verramschen. Und nichts anderes ist es ja auch. Wie viel mehr hätte man erreichen können, hätte man das Surface vom ersten Tag an zum Kampfpreis in den Markt gedrückt und für eine breite Verfügbarkeit gesorgt, statt es exklusiv über den eigenen Store zu vermarkten, der damit zu allem Unglück auch noch organisatorisch völlig überfordert war.

Dieser Fehler wird noch lange nachwirken – selbst ich als bekennender Fan frage mich, ob das nunmehr eindeutig als Flop gebrandmarkte Surface überhaupt noch eine Chance hat, von den Kunden auf breiter Front angenommen zu werden, oder ob es wie Zune und KIN auf dem Friedhof der eigentlich gar nicht so schlechten Ideen landet. Das wäre jammerschade. Zumindest was den Namen Surface angeht, habe ich ernsthaft Sorge, er könnte bereits ‘verbrannt’ sein.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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