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Die vierte Macht: Sailfish OS – Teil 1: Hintergründe und Überblick

Die vierte Macht: Sailfish OS - Teil 1: Hintergründe und Überblick

Ein Gastbeitrag von Christoph Daether (Cryx).

Der Markt der Smartphone-Betriebssysteme wird von zwei großen Reichen beherrscht: Blackberry und WebOS sind lange untergegangen, Microsoft hat mit Windows 10 Mobile kapituliert, und Google und Apple beherrschen die mobile Welt. Nur ein kleines finnisches Unternehmen leistet standhaft und allen Widrigkeiten zum Trotz Widerstand und lässt sich einfach nicht unterkriegen…

So ähnlich ließe sich – frei nach Asterix – die derzeitige Lage auf dem Smartphone-Markt beschreiben. Mit dem bevorstehenden Supportende von Windows 10 Mobile zum Ende diesen Jahres gibt das drittgrößte Betriebssystem auf, und für viele bisherige Nutzer des Kacheldesigns stellt sich damit die Frage nach dem zukünftigen mobilen Dasein. Die Dominanz von Googles Android und Apples iOS in den Medien ist derart groß, dass noch geringer verbreitete Alternativen als eben Windows 10 Mobile entsprechend noch weniger bis gar keine Beachtung erfahren.

Auf der Suche nach Alternativen zu Lumia und Co. ist hier auf Dr. Windows in den Kommentaren schon des Öfteren die Frage nach Sailfish OS gestellt worden – für mich ein Anlass, dieses System einmal näher zu beleuchten und der Community näherzubringen.

Zunächst ein paar einleitende Worte über mich selbst: Ich habe meine »IT-Karriere« mit dem Sinclair ZX Spectrum begonnen (wer das jetzt *bingen* muss ist halt noch jung… 😉), gefolgt vom Atari ST und einem PC mit DOS 6.0 und Windows 3.1. Vor zwanzig Jahren bin ich auf Apple umgestiegen und schließlich durch die Lumias 920 und 950 beim Surface Book und wieder bei Windows als Hauptsystem gelandet, nutze daneben aber immer noch einen Mac und ein iPad mini.

Irgendwann bin ich zufällig über Jolla, deren Jolla Phone mit eben Sailfish OS und die seinerzeitige Crowdfunding-Kampagne für das dann leider letztlich gescheiterte Jolla Tablet gestolpert. Aus Neugier habe ich dann später eines der wenigen Jolla C-Geräte erworben und besitze dadurch seit zweieinhalb Jahren ein Zweit-Fon mit eben Sailfish OS.

Es war einmal vor langer Zeit…

… nicht in einer weit weit entfernten Galaxis, sondern im gar nicht so weit entfernten Finnland ein Handyhersteller namens Nokia. Die Verbreitung der heute als Feature Phones bezeichneten Handys aus dem Hause Nokia ist ja schon beinahe legendär – und die Geburtsstunde der ersten Lumias ist quasi auch die Geburtsstunde von Sailfish OS. Mit dem Wechsel auf Windows Phone 8 stellte Nokia bekanntermaßen sein Portfolio um, das bislang für Smartphones genutzte MeeGo wurde fallen gelassen, die entsprechenden Mitarbeiter waren über. Ein Teil der Betroffenen gründete schließlich die neue Firma Jolla und entwickelte aus MeeGo ein eigenes mobiles Betriebssystem weiter: Sailfish OS.

Sailfish OS
> Das Jolla-Tablet (Bildquelle: https://jolla.com/press/)

Jolla brachte mit dem Jolla Phone ein Smartphone auf den Markt, welches natürlich mit dem eigenen Betriebssystem ausgeliefert wurde. Auf das Jolla Phone sollte alsbald dass Jolla Tablet folgen, welches im Rahmen einer Indiegogo-Kampagne zwar erfolgreich schwarmfinanziert wurde, später jedoch aufgrund verschiedener Schwierigkeiten in der Produktionsphase scheiterte, sodass nur wenige Tablets auch tatsächlich ausgeliefert wurden. Die gescheiterte Kampagne brachte das junge Unternehmen in eine finanzielle Schieflage, Jolla konnte sich jedoch inzwischen durch Hilfe neuer Investoren stabilisieren. Unterstützer der Tablet-Kampagne, die keines der wenigen Geräte geliefert bekamen, haben mittlerweile zumindest die Hälfte ihres Finanzierungsbeitrages erstattet bekommen, die zweite Hälfte hat Jolla in Aussicht gestellt und zahlt nun nach und nach bei positivem Finanzergebnis die entsprechenden Gelder zurück.

Strategischer Umbruch

Die gescheiterte Tablet-Kampagne führte zu einer Neuausrichtung in der Firmenstrategie. Jolla begann, das eigene System an andere Hersteller zu lizensieren und fand im indischen Unternehmen Intex einen ersten Partner, der mit dem Aquafish sein erstes Sailfish-Smartphone auf den indischen Markt brachte. Dieses Gerät wurde schließlich in einer für Europa angepassten Version als limitiertes Jolla C auch innerhalb der Jolla-Community vertrieben.

Sailfish OS
> Das limitierte Community-Smartphone Jolla C, weitestgehend baugleich mit dem indischen Intex Aquafish (Bildquelle: https://jolla.com/press/)

Die Entwicklung eigener Hardware wurde schließlich ganz aufgegeben, stattdessen wird das System nunmehr an Hardware-Hersteller lizensiert. Jollas Hauptaugenmerk liegt dabei auf den sogenannten BRICS-Staaten, neue Märkte wurden in Südamerika, Russland und China durch Lizenzvergaben erschlossen. Sailfish-Geräte aus diesem Raum erfüllen jedoch zumeist nicht die technischen Voraussetzungen für eine sinnvolle Nutzung in Europa; insbesondere die meist fehlende Unterstützung für hiesige LTE-Bänder stellt dabei ein Problem dar, zudem sind die Geräte auf dem europäischen Markt nicht verfügbar und müssten umständlich importiert werden.

Sailfish OS
> Ein Smartphone aus Kolumbien für Südamerika: das Jala Accione (Bildquelle: http://accione.com/#/en/home)

Paradebeispiel für Jollas Lizenzmodell ist Russland: dort strebt man die Unabhängigkeit von US-stämmigen Diensten und Firmen an und nutzt daher Sailfish OS für den Aufbau eines eigenen mobilen Betriebssystems, welches mittelfristig im staatlichen Bereich besondere Bedeutung finden soll und um eigene Softwareteile ergänzt wird. Dort hat das System – oder besser die in den russischen Raum lizensierte Variante von Sailfish OS – auch erst vor wenigen Tagen eine Umbenennung in Aurora OS erhalten.

Sailfish OS
> Liebesgrüße aus Moskau: das russische Inoi R7 (Bildquelle: https://inoi.com/2344/inoi-r7/)

Geräte für Europa

Sailfish OS hat – als zumindest teilweise quelloffenes System – seit jeher eine aktive Modder-Szene, die das Betriebssystem auf etliche andere Smartphones portiert hat, darunter auch das ursprünglich mit MeeGo laufende Nokia N9. Jolla selbst geht diesen Weg neben der Lizensierung des Systems an Dritte mittlerweile als zweites Standbein mit und entwickelt Sailfish OS als ROMs für Android-Geräte, was ohne eigene Hardware auch die einzige Möglichkeit ist, mit der nicht an Dritte lizensierten originalen Systemversion auf dem Markt zu bleiben. Begünstigt durch das Sony Open Device Program hat man sich auf den japanischen Hersteller konzentriert und vertreibt mit Sailfish X eine Variante für verschiedene Geräte der Xperia-Baureihe. Den Anfang machte das Xperia X, seit Ende letzten Jahres steht das System nun auch für alle Varianten des Xperia XA2 (normale Version, Plus und Ultra, jeweils Single-und Dual-SIM) bereit.

Sailfish OS
> Startbildschirm des Sony Xperia XA2 mit Sailfish X, der Xperia-Variante von Sailfish OS (Bildquelle: Christoph Daether)

Geräte mit vorinstalliertem Sailfish OS gibt es auf dem europäischen Markt derzeit nicht. Darin liegt aktuell auch das größte Problem – wer Sailfish OS nutzen möchte, muss sich ein passendes Gerät kaufen und die Software selber darauf installieren. Auch Sailfish X selbst benötigt eine Lizenz, die erworben werden muss, um dass System mit allen Möglichkeiten zu nutzen; für die Xperias der XA2-Reihe gibt es allerdings kostenlose Testversionen, die aber voll funktionsfähig sind und lediglich lizenzpflichtige Zusatzfunktionen (Exchange-Support, Android-Unterstützung, Textvorhersage) nicht bieten.

Sailfish OS
> Sailfish-App-Übersicht auf dem Sony Xperia XA2 (Bildquelle: Christoph Daether)

Eine Besonderheit auf dem Hardwaresektor stellt noch der Gemini PDA von Planet Computer dar, ein ebenfalls per Crowdfunding finanziertes Gerät, das mit Hardware-Tastatur sowohl Smartphone als auch Mini-Laptop sein will. Bislang gibt es dafür zwar nur eine Community-Variante von Sailfish OS, eine offizielle Unterstützung ist jedoch nach bisherigen Äußerungen nach wie vor geplant.

Grundsätzliche Vor- und Nachteile

Nachdem wir nun die Geschichte und grundlegende Informationen zu Sailfish OS hinter uns gelassen haben, werfen wir einen Blick auf die generellen Vor- und Nachteile des Systems, und wie fast überall finden sich hier auch Licht und Schatten.

Datenschutz

Sailfish OS ist letztlich das europäische Betriebssystem. Jolla als Hersteller hebt insbesondere Datenschutzbelange gerne hervor, und tatsächlich erhebt das Unternehmen nicht mehr Daten als nötig. Einen Jolla-Account benötigt man lediglich für den Erwerb der Software, die Registrierung des Geräts und den eigenen, Harbour (also Hafen) genannten Appstore, der allerdings auch keine Verlaufs- oder Downloadhistorie speichert (aber auch keine kostenpflichtigen Apps kennt). Daneben kommt man mit dem Jolla-Account auch in die User-Community (https://together.jolla.com). Einen eigenen Cloud-Service oder sonstige Dienste gibt es nicht. Die leider schon übliche Datensammelwut anderer Unternehmen sucht man daher hier vergeblich, und mit Sitz in Europa fallen diese wenigen Daten auch unter europäisches Datenschutzrecht.
Die Nutzung von Clouddiensten, sozialen Netzwerken, eMail-Providern usw. unterliegt somit vollständig dem Nutzer, sowohl beim überhaupt als auch bei der Wahl des Dienstes.

Verbindungen

Auf der technischen Seite hinkt das System allerdings ein wenig hinterher: es gibt keine Unterstützung für die RCS-Dienste, VoiceOverLTE und WLANCall lassen sich ebenfalls noch nicht nutzen, allerdings ist zumindest VoiceOverLTE angekündigt. Für die Xperia XA2-Geräte wird Bluetooth offiziell noch nicht unterstützt, ist aber als quasi-Beta integriert und funktioniert bei mir auch wie erwartet. USB-OTG ist seit der Version 3 mit an Bord und ermöglicht somit die Nutzung externer Speichermedien, passende Formatierung (vfat, ext4) vorausgesetzt.

Hardware

Aktuell lässt sich Sailfish OS für Neueinsteiger in Europa wie schon dargelegt nur mit einem Sony Xperia X oder XA2 (auch Plus und Ultra) nutzen. Allerdings wurde das System nicht für diese Geräte vom Start her entwickelt, sondern daran angepasst. Aus diesem Grunde gibt es Hardwarefeatures, die zwar in den Geräten vorhanden sind, von der Software aber (noch) nicht genutzt werden. Im vorstehenden Abschnitt bin ich schon auf Bluetooth eingegangen, die Unterstützung für NFC oder UKW-Radio fehlt aber immer noch. Ähnliches gilt für den Fingerabdrucksensor, der beim Xperia X noch arg unzuverlässig funktionieren soll (so der Tenor in der Jolla Community, mangels Gerät von mir nicht nachprüfbar) und auf den XA2-Geräten noch gar nicht implementiert ist. Anders als unter Android kann das Xperia XA2 unter Sailfish OS softwarebedingt auch kein 4K-Video aufnehmen. Generell ist die Kamera ein großes Manko, die sich schon unter Android nicht mit dem Lumia 950 messen kann; unter Sailfish OS bleibt die Kamerasoftware jedoch weit hinter dem Möglichen zurück.

In Sachen Hardware ist auch zu erwähnen, dass alle aktuell mit Sailfish OS lauffähigen Smartphones (insbesondere, wenn man Community-Ports außer acht lässt) inzwischen als Low-Budget-Smartphones mit entsprechend veralteter Technik angesehen werden müssen, einzig das Xperia XA2 in allen seinen Varianten wird noch dem Ruf eines Mittelklasse-Smartphones gerecht.

Unternehmen und Support

Als vergleichsweise kleines Unternehmen (Jollas Mitarbeiterzahl bewegt sich aktuell meines Wissens irgendwo im zweistelligen Bereich) tummeln sich die Entwickler auch durchaus in der Community und nehmen Probleme daher wohl auch eher wahr als andere, große Unternehmen – was aber nicht heißt, dass diese schneller behoben werden, da es auch dabei dann auf ausreichende Manpower ankommt. Zudem ist gerade die geringe Unternehmensgröße ein Risiko- bzw. Problemfaktor; zwar scheint die wirtschaftliche Lage aktuell gesichert, langfristig bleibt jedoch für Nutzer und Mobilfunkmarkt gleichermaßen zu hoffen, das Investorenmittel und Umsatz ausreichend für den Unternehmensbestand sind.

Ebenfalls der geringen Mitarbeiterzahl ist die doch recht schleichende Weiterentwicklung von Sailfish OS geschuldet. Auf dem Mobile World Congress wurde im letzten Jahr erstmalig Sailfish 3 präsentiert, welches im dritten Quartal 2018 erscheinen und eine Vielzahl neuer Features bieten sollte. Tatsächlich wurde es Ende Oktober, die Neuerungen waren fast ausschließlich unter der Haube zu finden, die angekündigten Features wie native Einbindung von WebDAV- und anderen Onlinespeichern und einiges mehr stehen nach wie vor aus und sollen nun im Verlauf der weiteren Entwicklung von Sailfish 3 schrittweise mit weiteren Systemupdates nachgereicht werden.

Ebenso wurde auf dem MWC eine Version von Sailfish OS für Feature Phones (also klassische Handys) gezeigt, die aber auch noch nicht auf dem Markt verfügbar ist; eine ebenfalls schon einmal als Demo gezeigte Smartwatch mit Sailfish OS wartet hingegen auf interessierte Lizenznehmer des Systems. Grundsätzlich eignet sich Sailfish OS für alle Geräteklassen und könnte prinzipiell auch als Desktop-System Verwendung finden.

Ungeachtet dessen ist die im letzten Herbst erschienene Version 3 für alle Sailfish-Geräte erschienen, auch für das Original Jolla Phone aus dem Jahr 2013; Jolla ist somit sehr um die Unterstützung älterer Geräte bemüht, was unter dem Nachhaltigkeitsaspekt hier nicht unerwähnt bleiben soll.

Aufwertung durch Modding und Open Source Software

Sailfish OS ist von Haus aus in Sachen Multimedia-Codecs etwas beschränkt, doch auch hier findet sich Abhilfe durch freie Entwickler. Bedingt durch meine Apple-Vergangenheit ist mein Standard für verlustfreie Audiokomprimierung das Apple Lossless-Format (ALAC), welches Sailfish OS anders als Windows 10 Mobile oder Android nicht mitbringt. Mittels eines Codec-Paketes habe ich dem Xperia XA2 allerdings auch unter Sailfish OS das Abspielen dieser Dateien beibringen können. Vergleichbare Mods oder Patches gibt es auch für etliche Teilbereiche der Systemsoftware, die Installation solcher Pakete erfolgt natürlich immer auf eigenes Risiko.

Alles was ein Smartphone ausmacht: Apps, System und Bedienung

Ein Smartphone wäre kein Smartphone, wenn es keine Apps und keine eigene Charakteristik in der Bedienung mitbrächte. Zu diesem Themenbereich gibt es bei Sailfish OS aber eine ganze Menge zu berichten, was den Umfang dieses Artikels sprengen würde. Insofern soll dies zunächst ein grober Überblick gewesen sein, den wir bei entsprechendem Interesse der Leserschaft in Folgeartikeln gern vertiefen wollen. Hinterlasst dazu also gerne Eure Meinung in den Kommentaren oder im Forum. Wer sich auf eigene Faust weiter mit Sailfish OS befassen möchte findet neben Wikipedia auf den Herstellerseiten (https://jolla.com, https://blog.jolla.com/, https://sailfishos.org/) weitere Informationen in englischer Sprache. Und als kleines Appetithäppchen beschließen wir den Artikel mit einem mysteriösen Foto, dessen Geheimnisse erst in einer eventuellen Fortsetzung gelüftet werden…

Sailfish OS
> Vier Welten treffen aufeinander: Die iOS-Rundschau auf der Dr. Windows-Webseite, aufgerufen in der Android-Variante von Microsoft Edge auf dem Jolla C mit Sailfish OS 3… 😀 (Bildquelle: Christoph Daether)

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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