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Kommentar: Mozilla und seine Zukunft

Kommentar: Mozilla und seine Zukunft

Während Microsoft am gestrigen Dienstag wie jeden Monat seinen routinemäßigen Patchday abspulte und ansonsten in der Technikwelt nicht besonders viel los war, überraschte Mozilla mit einem Paukenschlag und richtet seine Pläne für die Zukunft nicht nur aufgrund der aktuellen Coronakrise neu aus. Nach den 70 Entlassungen im Januar verlieren nun bis zum Jahresende weitere 250 Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz, weitere 60 werden auf andere Stellen im Unternehmen verteilt und Mozilla Taiwan komplett geschlossen. Mozilla hat als Gesamtkonstrukt damit mehr als ein Viertel seiner ursprünglichen Größe verloren, möchte sich gleichzeitig aber auch neue Strukturen geben und einen neuen, agileren Weg gehen.

Auch wenn Mozilla-Chefin Mitchell Baker die harten Einschnitte vor allem mit der Coronakrise begründet, sind die Probleme für den Entwickler von Firefox und zahlreichen anderen Produkten wesentlich tiefgreifender. Mozilla steht vor allem unter einem großen finanziellen Druck. Die Einnahmen sind seit 2018 rückläufig, die neuen Abomodelle brachten bisher nicht den gewünschten Erfolg und der aktuelle Vertrag mit Google über die Standardsuchmaschine, welcher bisher über 90 % der Gesamteinnahmen von Mozilla ausmacht, läuft zum Jahresende aus. Ein neuer Vertrag wurde noch nicht geschlossen, aber es ist klar, dass Google aufgrund der stark gesunkenen Marktanteile deutlich weniger bezahlen würde als bisher. Dieser Punkt dürfte auch für Microsoft mit Bing und erst recht für die zahlreichen anderen Mitbewerber gelten.

Mozilla muss also noch stärker auf eigenen Beinen stehen, um Einnahmen zu generieren und unabhängiger von den Suchmaschinen zu werden. Die bisherigen Vorstöße waren in diesem Bereich allerdings durchwachsen. Produkte wie das immer noch beliebte Pocket oder das auf Unternehmen ausgerichtete Firefox Premium stehen Projekten wie dem Passwortmanager Firefox Lockwise gegenüber, der als ein Abomodell ausschließlich an Firefox als Browser gekoppelt wurde und was man alleine deswegen als klare Fehlentscheidung bezeichnen muss. Parallel dazu wurden weitere Produkte entwickelt, darunter der Mozilla VPN-Service, der Mail-Proxy Firefox Relay oder die vor allem auf Unternehmen ausgerichtete Hubs Cloud, die VR-Teamkonferenzen ermöglicht. Wie erfolgreich diese Projekte sein werden, steht aktuell noch in den Sternen.

Worüber man sich noch mehr Gedanken machen muss, ist die Reorganisation an sich. Nachdem die Entlassungen gestern offiziell angekündigt wurden, wurde auf Twitter unter dem Hashtag #MozillaLifeboat intensiv diskutiert und es wurde dabei auch ein ganz guter Einblick gegeben, wie sich die Entscheidungen konkret im Unternehmen auswirken. Unter anderem konnte ich vernehmen, dass wohl zahlreiche Entwickler der Programmiersprache Rust vor die Tür gesetzt werden und die Teams für Mixed Reality und, was ganz besonders schwer wiegt, das für Sicherheitslücken zuständige Threat Management Team wurden wohl geschlossen aufgelöst und entlassen. Das wäre schlimm, denn einerseits reden wir von Bereichen, wo Mozilla noch einen größeren Einfluss hatte, und andererseits hat Mozilla nun bei Sicherheitslücken in Firefox, sollte das stimmen, keine eigenen Leute mehr, um zeitnah darauf zu reagieren. Insofern wundert es mich auch nicht, dass in manchen Tweets, die ich gestern Abend gelesen habe, von Wut der Betroffenen und willkürlichen Entscheidungen seitens der Unternehmensführung die Rede war.

So oder so wurde gestern klar, dass sich Mitchell Baker für die Zukunft wohl ein deutlich anderes Mozilla vorstellt als das, was wir heute noch kennen. Manche Ideen wie die stärkere Einbindung der Community und mehr Kooperationen mit anderen Entwicklern klingen gut, andere wie das Zurückfahren der Investitionen in neue Features für die Plattform dagegen besorgniserregend. Letzteres bedeutet schlicht, dass sich das direkt auf die eigene Gecko-Engine und andere Technologien wie die JavaScript-Engine SpiderMonkey niederschlagen wird und wir uns da ernsthafte Gedanken über die zukünftige Qualität machen müssen. Außerdem ist interessant, dass sich die Wortwahl bei Mozilla geändert hat: Man will das offene Web nicht mehr direkt verteidigen, sondern die Nutzer dort abholen, wo sie sind und auch ansonsten eine aktive Rolle bei der Entwicklung des Web und nicht direkt damit verbundenen Technologien spielen möchte. Das bedeutet nicht, dass Firefox auf Chromium wechseln wird, das wäre auch gegen Mozillas Natur. Es wird aber direkt davon abhängen, wie viel Mozilla noch in Gecko und Servo investieren und wie man diese Worte in Zukunft interpretieren wird.

Klar ist, dass Mozilla den eigenen Schwerpunkt künftig darauf ausrichten wird, mit eigenen Produkten mehr Geld in die eigenen Kassen zu spülen. Das klingt auf den ersten Blick unverständlich, aber man darf nicht vergessen, dass die verschiedenen Töchter der Mozilla Foundation allesamt kommerzielle OpenSource-Unternehmen sind, die wie jeder andere Arbeitgeber auch Verantwortung für die eigenen Angestellten tragen. Thunderbird ist von den aktuellen Ereignissen unberührt und auch der eigentliche Firefox Browser wird weiterhin kostenlos sein, aber wir müssen uns darauf einstellen, dass Mozilla in absehbarer Zeit zumindest Randprojekte wie Firefox Lite, Firefox für den Amazon Fire TV oder ohnehin schlecht gepflegte Projekte wie Firefox Notes beenden wird. Das ist momentan reine Spekulation meinerseits, Mozilla hat diesbezüglich noch nichts angekündigt, aber sie werden unprofitable Bereiche abstoßen und unter anderem beim Twitter-Account von Mozilla Hubs konnte man gestern auch nachlesen, dass auch da, obwohl Hubs selbst Teil der neue Produktstrategie ist, noch überhaupt nicht klar ist, wie es genau/überhaupt weitergehen wird. Entsprechendes kann man sicherlich auch bei anderen Projekten wie dem WebThings Gateway von Mozilla IoT oder der Kooperation beim mobilen Betriebssystem KaiOS sagen.

Was die entlassenen Mitarbeiter angeht, kann man ihnen sicherlich nur das Beste wünschen. Unter dem Hashtag #MozillaLifeboat haben jedenfalls zahlreiche Unternehmen wie DuckDuckGo, Microsoft, Amazon, Apple, Stripe und zahlreiche andere gestern schon die Chance genutzt und Hinweise auf entsprechende Stellenanzeigen hinterlassen. Während sich hier also durchaus Happy Ends anbahnen, steuert Mozilla als Organisation auf unruhige Fahrwasser zu. Was das für seine Zukunft bedeuten wird, kann am Ende nur die Zeit zeigen.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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