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Windows Phone: Gehen oder bleiben?

Für die Windows Phone Fans war 2016 bisher wahrlich kein leichtes Jahr. Kein Upgrade auf Windows 10 Mobile für die meisten Bestandsgeräte, Microsofts quasi vollständiger Rückzug aus der Smartphone-Produktion, die angekündigte Fokussierung auf Business-Kunden sowie die stiefmütterliche Behandlung der Plattform insgesamt haben bei Vielen tiefe Zweifel hinterlassen, ob sie denn weiterhin auf ein Windows Smartphone setzen sollen, oder ob die Zeit reif für einen Wechsel ist.

In den Diskussionen zu entsprechenden Artikeln ging es oft heiß und emotional her, leider oft auch sehr unsachlich. Die in der Überschrift gestellte Frage klingt fast wie eine Einladung zu einer weiteren Kommentar-Schlacht, das ist jedoch nicht meine Intention. Ich will versuchen, die Geschichte in aller Ruhe aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und diverse Aspekte zu beleuchten, die den Ausschlag in die eine oder andere Richtung geben könnten.

Betrachten wir doch zunächst mal zwei ganz typische Fraktionen, wenn es um Windows Phone geht (Ihr erlaubt bitte die Verwendung des Sammelbegriffs. Phone mit Windows = Windows Phone, egal welche OS-Version).

Die Fraktion “treu bis in den Tod”
Lasst uns gleich mal mit einer Extremistengruppe beginnen. Das sind die Nutzer, für die ein Windows Smartphone das einzig Wahre ist und bleibt, und die dem System die Treue schwören. Komme, was da wolle. Was es nicht gibt, braucht man sowieso nicht, und mit jeder weiteren eingestellten App wird noch ein wenig trotziger “jetzt erst recht” gebrüllt. Ok, kann man so machen, im Grunde ist dagegen auch gar nichts einzuwenden. Man sollte sich aber der Tatsache bewusst sein, dass man das für sich ganz bewusst so entschieden hat. Letzteres gilt auch für weniger militante Windows Phone Besitzer, die zumindest vorerst noch bleiben wollen. Andere Leute überzeugen zu wollen, halte ich in der aktuellen Situation schon beinahe für unseriös.

Die Wutbürger
Von einem Extrem zum anderen: Es gibt da auch jene Nutzer, die bei jeder neuen Negativmeldung aufs Neue austicken und schwören, jetzt endgültig zu iPhone oder Android zu wechseln und bei der Gelegenheit auch gleich alles über Bord zu werfen, was sie sonst noch so von Microsoft haben. Neben der einfachsten Antwort, nämlich “mach doch!” (ja, das ist wirklich so leicht) gibt es noch eine weitere, nämlich: Beruhig Dich doch erst mal wieder.
Und dann stell Dir die Frage: Wo ist das Erlebnis mit Deinem Windows Phone in den letzen paar Monaten wirklich schlechter geworden? Was funktioniert schlechter oder nicht mehr? Auf mich selbst bezogen fällt mir da ehrlich gesagt überhaupt nichts ein, im Gegenteil: Ich schrieb schon im Frühjahr, dass Windows 10 Mobile für jene Nutzer, die es mögen, kontinuierlich besser werden wird. Und genau so ist es auch eingetreten. So trüb die Perspektive auch sein mag: Wer vor einem halben Jahr noch zufrieden war, für den sehe ich keinen Grund, warum er jetzt “ohne Not” die Plattform wechseln sollte. Mit einer Ausnahme, auf die ich später noch zu sprechen komme.

Das Hauptproblem: Perspektivlosigkeit
Wenn aktuell der Kauf eines neuen Geräts ansteht, dann stellt sich natürlich die Frage, ob man nochmal in ein Windows Phone investiert. Die günstigen Preise machen die 950er Serie attraktiv, auch das Acer Liquid Jade Primo befindet sich jetzt im Resterampe-Modus, aber man sollte bedenken: Der nächste große Entwicklungssprung von Windows 10 Mobile wird Redstone 3 werden, und Microsoft hat nie versprochen, dass die Geräte bis in alle Ewigkeit mit Updates versorgt werden. Windows (10) as a Service bedeutet, dass die Entwicklung eine lange Reise ist. Auf dieser Reise werden aber immer wieder Geräte am Wegesrand zurück bleiben. Wenn Redstone 3 erscheint, ist das Lumia 950 zwei Jahre alt, ich würde da vorsichtshalber auf gar nichts wetten. Das ist keine Andeutung, ich habe keine Ahnung, wie es kommt. Aber selbstverständlich davon auszugehen, dass die aktuellen Geräte noch auf Jahre hinaus mit Updates versorgt werden, halte ich für gewagt. Schaut einfach mal, was in den letzten Jahren mit den Microsoft-Geräten passiert ist, die ausgelaufen sind.

Ups, komplett verplappert: Mit Perspektivlosigkeit ist eigentlich etwas ganz anderes gemeint: Für viele Windows Phone Fans war es einfach spannend, die Entwicklung des Systems seit seinen Anfängen oder etwas später mitzumachen und zu erleben, wie das zarte Pflänzchen zu blühen beginnt. Man sah sich als Pionier, der dabei mithilft, etwas Neues aufzubauen und das dritte mobile Ökosystem zu etablieren. Später, wenn der Durchbruch gelungen ist, würde man sagen können: Ich war von Anfang an dabei! Das hat jene Nutzer über so manche Unzulänglichkeit hinweg sehen lassen. Ich würde mich selbst eindeutig in diese Kategorie einordnen.

(An diesem Punkt muss ich doch kurz emotional werden: Microsoft hat sowas von keine Ahnung, welches Potenzial sie da gerade liegen lassen. Das sind Leute, die kostenlos eine Form von Marketing betreiben, das mit Geld nicht zu bezahlen ist. Aber sie sind so blind und taub und unfähig, das überhaupt zu erkennen, dass man vor Verzweiflung schreien möchte.)

Weiter im Text: Die oben genannte Hoffnung ist jetzt oft nicht mehr vorhanden. Die Marktanteile sinken, coole neue Hardware ist nicht in Sicht, und weder Universal Apps noch eine iOS-Bridge noch sonst etwas werden wohl dafür sorgen können, dass die App-Situation sich entscheidend verbessert. Mehr als kleine Fortschritte sind auch in Zukunft nicht zu erwarten, und nicht wenigen ehemaligen Enthusiasten geht jetzt einfach langsam die Kondition aus.

So wie im letzten Abschnitt beschrieben geht es mir derzeit ein wenig. Man hat einfach das Gefühl, in der Sackgasse zu stecken. Dazu kommt der weiter oben angedeutete Punkt, der mich unter Windows 10 Mobile mehr und mehr stört: Die wirklich miserable Performance. Egal was man tut, man muss immer warten. Wer das als eingefleischter Nutzer nicht nachvollziehen kann, der hat in der Zwischenzeit nichts anderes benutzt. Wenn Du das als Nutzer von Windows 10 Mobile liest und denkst “was quatscht der Geuß denn da, mein Lumia 950 ist schnell”, dann leih Dir mal ein halbwegs aktuelles Phone von einem Kumpel aus. Oder nein, tu es besser nicht. Performance war mal die Paradedisziplin der Windows Phones, jetzt rennt jeder Mittelklasse-Androide auch dem potentesten W10M-Smartphone davon. Wenn ich die Diskussionen verfolge, dann ist das einer der am häufigsten Gründe, warum die Leute aufgeben und wechseln. Es gibt viele Misserfolgs-Faktoren, die Microsoft gar nicht direkt beeinflussen kann, aber dieses Problem ist hausgemacht.

Fazit? Handlungsempfehlung?
Ein Fazit zu ziehen ist schwierig, jeder Abschnitt in diesem Text trifft auf die Einen weniger und auf die Anderen mehr zu. Eine Empfehlung aussprechen möchte ich noch weniger. Dieser Beitrag sollte einfach nur verschiedene Aspekte beleuchten und die Gedanken anregen.

Ich sehe durchaus noch Gründe zu bleiben: Windows 10 Mobile ist einfach das schönste System, da lasse ich nicht mit mir diskutieren. Das gilt auch für das Benachrichtigungs-System – dieses setzt den Maßstab für den Wettbewerb. Das von iOS 10 ist hässlich, unübersichtlich und eine einzige Usability-Katastrophe (das weiß ich deshalb so genau, weil ich seit zwei Wochen mal wieder mit einem iPhone (7 Plus) rumlaufe. Android hat sich in Version 7.0 ein paar nützliche Dinge bei Windows 10 Mobile abgeschaut, kommt aber lange noch nicht ran (auch das ist das Ergebnis von wochenlanger praktischer Anwendung). Als dritten Punkt nenne ich noch die Tastatur. Die mag in Windows 10 Mobile gegenüber Windows Phone 8.1 nachgelassen haben, ist aber immer noch die beste, die man auf einem Smartphone haben kann – Alternativen wie SwiftKey eingeschlossen. Wer täglich mehrere Stunden auf seinem Smartphone textet, dem prophezeie ich, dass er nach einem Wechsel des Systems nur wegen der Tastatur über die Rückkehr nachdenken wird.

Den “Abgängern”, die vielleicht auch zu den weiter oben genannten “Wutbürgern” gehören, möchte ich als Empfehlung mit auf den Weg geben, sich nicht auch von allen anderen Microsoft-Produkten bzw. Diensten zu verabschieden. Nicht, weil ich sie für die besten halte, sondern weil sie den einfachsten Wechsel zwischen den Plattformen ermöglichen. Glaubt es mir, ich habe das selbst nun schon oft genug durchgespielt.

Wer sich ein iPhone oder Android-Smartphone zulegt, dem würde ich in jedem Fall raten, sein Windows Phone nicht direkt zu verkaufen. Nach der Freude über all die Apps, die unter iOS und Android zur Verfügung stehen, heißt es nämlich bei nicht Wenigen nach ein paar Wochen: Hach, zu Hause ist es halt doch am schönsten. Habe ich schon oft genug gehört, und wenn ich aktuell das iPhone einschalte und diesen Eimer voller Icons sehe, der sich erdreistet, sich “Homescreen” zu nennen, dann denke ich das wieder.

tl’dr: Ach, ich weiß auch nicht…

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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