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Don’t get trolled by Scroogle – mit Hetzkampagnen gewinnt man keine Kunden

Microsoft möchte erreichen, dass möglichst viele Nutzer Googles Mailservice Gmail den Rücken kehren und stattdessen zu outlook.com übersiedeln. Gegen diese Absicht ist nichts einzuwenden – doch die Art und Weise, wie das geschieht, ist ein Musterbeispiel für ‘so macht man es nicht’.
Bevor wir einsteigen, muss ich kurz meine persönliche Präferenz darlegen: Ich nutze Gmail nicht. Zwar habe ich von Anbeginn ein Konto dort, aber ich habe mich mit Gmail nie anfreunden können. Gleiches galt übrigens für Hotmail, Webmailer sind eben einfach nicht mein Ding – besser gesagt sie waren es – denn seit es outlook.com gibt, nutze ich es oft und gerne. Was die Nutzerfreundlichkeit und Übersichtlichkeit angeht, ist outlook.com gegenüber Gmail mindestens einen Schritt voraus.

Wenn Microsoft also behauptet, outlook.com sei der bessere Mailservice als Gmail, dann unterschreibe ich das. Trotzdem – oder besser gesagt gerade deshalb – halte ich die neue Kampagne für völlig daneben und hoffnungslos überzogen.

Worum geht’s eigentlich?
Für die Hetzkampagne gegen Google lässt Microsoft das Kunstwort “Scroogled” neu aufleben. Die Behauptung: Google durchsucht die komplette Mailbox, den Inhalt jeder einzelnen Mail, die Gmail empfängt oder verschickt. Auf Basis der gewonnenen Daten wird dann angepasste Werbung angezeigt. Über 70 Prozent der Gmail-Nutzer würden das gar nicht wissen – und nachdem sie es erfahren, empfinden das 87 Prozent gefährlichen Eingriff in die Privatsphäre, und 60 Prozent denken ganz konkret über einen Wechsel des Mailanbieters nach.

Für diese hat Microsoft natürlich den passenden Vorschlag: Komm zu outlook.com, denn hier wird die Privatsphäre geschützt, wir durchleuchten Deine Mails nicht – wir sind die Guten!

Das Ganze ist so reißerisch aufgezogen, dass einem übel wird. Da wird etwas zum Skandal aufgebauscht, was seit Jahren gängige Praxis ist. Wenn wir eine Webseite besuchen, auf der Google-Werbung geschaltet ist, dann passt der Inhalt der Werbung entweder zu der Webseite oder zu unseren eigenen Interessen. Wer bei Google nach “Turnschuhe” gesucht hat, der wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einige Tage lang immer wieder über entsprechende Werbeanzeigen stolpern.

Mit der Scroogled-Kampagne versucht Microsoft die Situation so darzustellen, als säßen in irgendeinem unterirdischen Bunker viele tausend Google-Schnüffler, die den ganzen Tag private Mails lesen. Was wirklich passiert, ist ein simpler technischer Vorgang: eine Liste von Schlagwörtern wird an den AdServer geschickt und der schaut nach, ob er dazu passende Anzeigen liefern kann. Das ist zweifellos ein Eingriff in die Privatsphäre, wie es die Google AdSense Werbung generell ist – zu behaupten, Google schnüffle in den Mails der Nutzer herum, ist trotzdem Blödsinn.

Wenn man die Wahl hat, ob man ein Mailkonto mit oder ohne dieses “Feature” haben möchte, fällt die Entscheidung nicht schwer. Nur weil Microsoft keine zum Inhalt der Mails passende Werbung anzeigt, muss das aber noch lange nichts heißen. Denken wir nur mal an die Sperrung von Microsoft-Konten wegen privater Bikini-Fotos auf SkyDrive. Im verlinkten Beispiel ging es um Dateien, auf die außer dem Eigentümer niemand sonst Zugriff hatte. Ist das kein Eingriff in die Privatsphäre?
Wer im Glashaus sitzt….Ihr wisst bescheid.

Nein, mit Schmutzkampagnen auf Troll-Niveau gewinnt man ganz bestimmt keine Kunden, im schlimmsten Fall macht man sich selbst unglaubwürdig. Man begeistert Anwender mit coolen Features für seine Dienste. Davon hat outlook.com meiner Meinung nach eine ganze Menge. Microsoft wäre besser beraten, den Leuten ihren eigenen Service schmackhaft als den der Konkurrenz madig zu machen.

Über den Autor

Martin Geuß

Martin Geuß

Ich bin Martin Geuß, und wie unschwer zu erkennen ist, fühle ich mich in der Windows-Welt zu Hause. Seit mehr als 17 Jahren lasse ich die Welt an dem teilhaben, was mir zu Windows und anderen Microsoft-Produkten durch den Kopf geht, und manchmal ist das sogar interessant. Das wichtigste Motto meiner Arbeit lautet: Von mir - für Euch!

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