Solange sich solche Leute unter die Menge mischen und keiner einschreitet, wird Ihnen ja eine kostenlose Bühne geboten, und die vermehren sich weiter ,
Dass sich Reichsbürger und ähnliche Gestalten unter eigentlich friedliche Demonstranten mischen, ist die eine Sache. Man darf hier aber auch nicht vergessen, dass es neben den Querdenkern auch ein buntes Aufgebot von Rechtsextremisten, Impfgegnern, Reichsbürgern, Esoterikern, Coronaleugnern und noch mehr gab. Verschiedene Maßnahmen wie die Ausweitung der befriedeten Zonen rund um das Regierungsviertel und andere Plätze mögen da helfen, aber das Kernproblem liegt woanders.
Letztlich wird es vor allem darauf ankommen, dass man auch den digitalen Sumpf trocken legt, denn die zunehmende Radikalisierung findet ja in solchen Echokammern statt. Genau das bedeutet aber größere Schwierigkeiten. Sicherlich kannst du einzelne Blogs und Seiten kleinerer Fische vom Netz nehmen oder durch Instrumente wie das (immer noch eher schlechte) NetzDG die Kooperation von großen Betreibern wie Facebook oder YouTube einfordern, was ja mehr oder weniger mittlerweile klappt. Der Punkt ist aber, dass sich die Leute, die man damit treffen müsste, sowieso mittlerweile auf andere dezentrale Plattformen zurückgezogen haben und sich hier durchaus FOSS-Technik zunutze machen. Das fing damals an mit Gab, die ja mittlerweile als Mastodon-Instanz operieren, dann sind alle zu Telegram als Messenger umgezogen und als Videoplattform rückt statt YouTube ja immer mehr BitChute in den Fokus.
Ohne die Kooperation mit großen FOSS-Projekten wie Element/Matrix, Mastodon (bzw. generell dem Fediverse), Peertube, LBRY und anderen wird es sowieso schon nicht gehen. Selbst wenn man das alles noch auf die Reihe bekommt und vielleicht sogar BitChute, die in dem Sinne wohl kein FOSS-Projekt mehr sind, vom Netz kriegt, wird sich Telegram als das ganz große Problem herausstellen. Zum einen sind Pavel Durov und seine Mitstreiter sowieso nicht kooperativ und zum anderen würde auch eine Netzsperre sowieso nichts bringen, das haben ja unter anderem die Versuche aus Moskau eindrucksvoll gezeigt. Gleichzeitig kannste auch nicht einfach die Seiten und Downloads sperren und Telegram aus den Appstores schmeißen. Sämtliche Clients sind GPL-lizenziert, d.h. jeder kann die einfach forken, umbenennen und neu in die Stores bringen (mal abgesehen davon, dass Telegram auch bei F-Droid ist). Und selbst ohne diesen Punkt bliebe immer noch tdlib, die u.a. auch von Unigram verwendet wird. Jeder kann damit einen neuen Telegram-Client schreiben oder einfach eine Bridge bzw. ein Plugin für Multimessenger wie Miranda NG oder Pidgin auf den Weg bringen. Auf normalem Wege wird man Telegram also nicht beeindrucken.
Womit am Ende eigentlich nur eine "sichere" Möglichkeit bliebe: Die Infrastruktur hinter Telegram müsste lahmgelegt und zerstört werden, womit der gesamte Messenger de facto am Ende wäre. Das große Problem ist aber dann, dass du andere wie die Aktivisten in Hongkong, dem Iran oder Belarus mit in den Abgrund reißt, für die Telegram eine wichtige Verbindung zur Außenwelt ist. Auch hier ginge ohne die FOSS-Community im Endeffekt nichts, denn bevor der große Zugriff bei Telegram erfolgen könnte, müsste von hier aus eine Initiative starten, um ihn durch andere Dienste wie Matrix, Signal oder Briar zu ersetzen. Genau da liegt ein wunder Punkt. Die Community hat sich damals, wie Gab zu einer Mastodon-Instanz wurde, schon sehr schwer getan, weil sie eigentlich für freie Meinungsäußerung eintritt und Beschränkungen im Wesentlichen ablehnt.
Das wäre eine fundamentale Richtungsentscheidung, aber es wäre in meinen Augen auch die einzige Chance, wie man speziell Telegram in den Griff bekommen könnte. Die Durovs lassen sich von steigendem Druck durch Nationen oder gar sowas wie die EU sowieso nicht beeindrucken. Das Perfide ist ja, dass Telegram als Messenger ja eigentlich ein gutes Stück Software ist, was auch viel Gutes tut, und ja, es sind bei weitem nicht alle Menschen, die Telegram nutzen, so drauf. Die Allermeisten sind völlig ok. Aber durch die Art, wie Telegram geführt wird, und eben die Tatsache, dass Telegram u.a. auch für Aktivisten so zentral ist, macht diese Menschen für die Leute, die sich dort radikalisieren, praktisch zu willigen Schutzschilden, wodurch sie sich dort sicher fühlen können. Genau das ist das zentrale Problem, und solange wir hierauf keine Antwort finden, die Bösen dort zu bekämpfen, ohne den anderen Menschen zu schaden, wird das auch nicht zu Ende gehen.