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Analyse: Das Ende der Windows-Ära?

Analyse: Das Ende der Windows-Ära?

Streift man in dieser Zeit durch die diversen Seiten, die mit der OpenSource- und Linux-Community im Zusammenhang stehen, bekommt man allerhand seltsame Spekulationen und Aufforderungen gegenüber Microsoft zu Gesicht. Zu Beginn des Jahres überraschte die Free Software Foundation mit der Forderung, Windows 7 nach dessen Supportende als freie Software zu veröffentlichen, im Frühsommer spekulierte die Linux-Community anschließend über die guten oder auch bösen Absichten der Redmonder, mehr und mehr Software quelloffen und teilweise auch für Linux zu veröffentlichen. Nun macht Eric S. Raymond mit einem neuen Blogbeitrag auf sich aufmerksam, der gar das baldige Ende der Windows-Ära gekommen sieht.

Bevor man sich mit dem eigentlichen Artikel befasst, ist es wichtig, erst einmal den Mann hinter dem Ganzen zu kennen. Eric S. Raymond ist für Microsoft nämlich kein Unbekannter, sondern war der maßgebliche Faktor für die Veröffentlichung der Halloween-Dokumente, die am 1. November 1998 nach und nach an die Öffentlichkeit gelangten und die unter Bill Gates entwickelte Strategie zur Bekämpfung von OpenSource-Software, die noch heute unter den Schlagwörtern “embrace, extend, extinguish” bekannt ist, offen legte. Das Verhältnis zu den Redmondern ist also ohnehin angespannt und das Ganze überträgt sich zu großen Teilen auf die Linux-Community als solche. Dass Raymond gleichzeitig auch Mitbegründer der Open Source Initiative ist, die die Bedingungen für entsprechende Projekte festgelegt hat, tut da sein Übriges.

Das Ende von Windows

In einem neuen Blogbeitrag sieht Raymond nun das Ende der Windows-Ära und gleichzeitig den Siegeszug von Linux auf dem Desktop gekommen. Als gute Indikatoren wertet er dabei WSL 2 und die kommende Portierung von Microsoft Edge für Linux, was ohnehin nur ein Feldversuch dafür sein könne, den großen Umstieg in Angriff zu nehmen. Die nächsten Schritte sind nach seiner Ansicht die Verwendung von Proton als neue Emulationsschicht, das von Valve entwickelt und unter Steam für das Spielen von Windows-Games unter Linux verwendet wird und deswegen als Stresstest angesehen werden kann. Im weiteren Verlauf soll Windows dann nur noch eine eigene Emulationsschicht auf Linux-Basis sein, die nach und nach abgebaut wird, und am Ende stellt Microsoft dann die mächtigste Linux-Distribution, womit der Sieg von Linux am Desktop besiegelt wäre.

Natürlich klingt das mal wieder nach “Alle Jahre wieder, aber dieses Jahr ganz bestimmt.” und normalerweise soll man manchen Leuten auch nicht mehr mediale Aufmerksamkeit geben, als sie verdienen. Tatsächlich spukt diese Theorie aber schon länger auch durch Teile der eigentlichen Microsoft-Community und deswegen ist es wichtig, das einmal ganz nüchtern, sachlich und mit Fakten aufzudröseln und am Ende auch mal mit der Theorie aufzuräumen.

Die Fakten

Zwei Punkte kann man gleich zu Beginn ganz nüchtern anführen. Erstens: Die Umsetzung von Linux bei WSL 2 ist nicht ansatzweise mit einem normalen Desktop-Linux vergleichbar, denn mit Teilen von Hyper-V und dem eigenen RDP-Protokoll kommt zwingend lang erprobte Windows-Technologie zum Einsatz. Zweitens: Was Microsoft bisher für Linux veröffentlicht hat, verursacht im Grunde keine zusätzlichen Kosten. Anwendungen wie Teams, Skype, Visual Studio Code, Azure Data Studio, Azure Storage Explorer oder Microsoft Edge basieren auf Webtechnologien und können leicht portiert werden, andere wie die PowerShell und .NET Core fallen quasi durch die Azure-Entwicklung hinten runter und laufen so unverändert auch bei Konkurrenten wie den Amazon Web Services in der Cloud.

Am Meisten fällt aber auf, dass die Mehrzahl der bisherigen Anwendungen auf den Business- und Enterprise-Sektor ausgerichtet sind. Microsoft hat ein Interesse daran, dass Nutzer an Universitäten oder in Cloudumgebungen, wo auch Linux am Desktop nicht so selten ist, problemlos mit Microsoft Azure arbeiten können. Das schließt auch Visual Studio Code mit den zahlreichen Azure-Erweiterungen und Microsoft Edge mit der Anbindung an Azure Active Directory mit ein. Erschwerend kommt hinzu, dass direkte Konkurrenten wie Slack und Zoom bei Microsoft Teams oder Google Chrome bei Microsoft Edge eigene Linux-Versionen haben. Eine Reaktion zur besseren Wettbewerbsfähigkeit war also ohnehin notwendig.

Die Irrelevanz des Linux-Consumers

Microsoft ist auch bei Linux in erster Linie ein Business-orientiertes Unternehmen und untermauert das unter anderem auch durch enge Kooperationen mit Unternehmen wie Canonical und Red Hat immer wieder. Dass für den Consumer auch Anwendungen wie Microsoft Edge und Visual Studio Code hinten runter fallen, ist ein angenehmer Nebeneffekt, aber keine Besonderheit, die wir nicht auch schon von Windows her kennen würden. Ansonsten halten sich die direkten Investitionen in das Desktop-Linux, die nicht direkt mit der Cloud und Unternehmen in Verbindung gebracht werden können, sehr in Grenzen, und man kann weitere gute Indizien dafür anführen, dass sich das auch nicht groß ändern dürfte.

Ein gutes Beispiel ist immer noch das fehlende Visual Studio für Linux. Die technische Basis von Xamarin Studio für macOS und MonoDevelop für Linux war zum damaligen Zeitpunkt nicht so unterschiedlich und Microsoft hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, eine entsprechende Entwicklungsumgebung für .NET-Konsolenanwendungen, PowerShell, ASP.NET, TypeScript und sogar Spieleentwicklung mit Unity auf die Beine zu stellen. Stattdessen überlassen sie dem großen Konkurrenten Rider von JetBrains hier kampflos das Feld und im Gegensatz zu Windows und macOS ist Visual Studio Code unter Linux offensichtlich gut genug.

Von Proton und anderen Geschichten

Wir können als Microsoft-Community über Satya Nadella eines sicher sagen: Wo für Microsoft nicht genug Mehrwert und Umsatz bei rauskommt, dort wird auch nicht groß investiert. Wir kennen das besonders von Produkten wie Windows 10 Mobile oder dem Groove Music Pass, und die Wahrscheinlichkeit, dass die normale Linux-Community, die zu großen Teilen immer noch feindlich gegenüber Microsoft eingestellt ist und die Redmonder am Liebsten so weit weg wie möglich von Linux sehen will, jeden Monat die 10,- € für Microsoft 365 oder die 12,99 € für den Xbox Game Pass Ultimate zahlen würde, dürfte noch deutlich geringer sein.

Überhaupt ist Gaming ein gutes Stichwort, denn theoretisch kann Microsoft schon heute gut abschätzen, wie erfolgreich ein Vorstoß von Team Xbox unter Linux sein würde. Der Anteil von Linux-Gamern bei Steam lag zuletzt bei um 0,9 % und die Xbox Game Studios haben einige Titel auch zu Steam gebracht, die theoretisch auch hier per Proton spielbar wären. Die Nutzer, die das tatsächlich machen, dürfte aber überschaubar sein. Zuletzt machten vor allem Aussagen die Runde, dass die Integration von DirectX 12 bei WSL 2 das Ende vom Linux-Gaming sein könnte und dass Microsoft für die Bethesda-Übernahme wieder Teil eines Antitrust-Verfahrens werden sollte. Das sind nur zwei Beispiele dafür, dass die Einstellung der Linux-Community gegenüber Microsoft zu großen Teilen immer noch skeptisch bis feindselig ist und dementsprechend hier kaum Umsatz und Geld zu machen sein wird.

Schlusswort

Zwei Sachen muss man aber klar abgrenzen. Zum einen gibt es neben den Linux-Enthusiasten und -Hardlinern auch weiterhin die Pragmatiker, die das Ganze sachlicher betrachten und die Portierung von Skype oder Microsoft Edge durchaus begrüßen. Zum anderen hat Microsoft in der jüngeren Vergangenheit durchaus auch Mist gebaut und sich mit den Ereignissen um .NET MAUI und WinGet nicht von seiner besten Seite gezeigt. Am Wichtigsten dürfte aber die Erkenntnis sein, dass Microsoft sich nicht mehr zwingend auf einzelne Plattformen festnageln will und sich mittlerweile eher als Dienste-orientiertes Unternehmen sieht. Ein großer Umbau von Windows zu einer Linux-Distribution, der ohnehin mit massivsten Kosten verbunden wäre und die Unternehmenskunden in Angst und Schrecken versetzen würde, macht also ohnehin keinen Sinn.

Wesentlich wahrscheinlicher dürfte sein, dass Satya Nadella zum Beispiel die Freigabe für eine Übernahme von Canonical als einem führenden Linux-Distributor geben würde. Davon würde nicht nur das Azure-Team um Scott Guthrie profitieren, auch Panos Panay könnte einerseits als Windows-Chef die Entwicklung von WSL 2 mit dem wichtigsten Partner in-house deutlich besser voranbringen und gleichzeitig als Chef der Hardware-Sparte eine Developer Edition des Surface Book oder Surface Laptop auch mit Ubuntu rausbringen, ähnlich wie es Dell und Lenovo auch schon machen. Auch ein Thin-Client mit einer kleinen Ubuntu-Basis und einem Windows Virtual Desktop, der dann aus der Azure-Cloud auf die Mitarbeitergeräte gestreamt wird, wäre wesentlich wahrscheinlicher als eine komplette Neuentwicklung.

Unterm Strich sind die Spekulationen, die vor allem in der Linux-Community kursieren, also nicht mehr als das. Wenn es sich nicht um einen gewissen Bedarf von Kunden im Unternehmens- oder Bildungsbereich dreht, wären größere Investitionen von Microsoft ins normale Linux schlicht unwirtschaftlich und unter Satya Nadella gerade bei Consumern kaum zu erwarten. Stattdessen regiert ähnlich wie im mobilen Sektor der Pragmatismus und Linux, da es bei Servern und der Cloud nunmal der dominante Player ist, wird entsprechend adaptiert. Windows selbst wird uns noch sehr viele Jahre und Jahrzehnte erhalten bleiben und erst dann sein Ende finden, wenn der klassische Desktop-Markt sich irgendwann mal wirklich in Rauch aufgelöst hat und in Unternehmen hierfür auch keine Verwendung mehr besteht.

Über den Autor

Kevin Kozuszek

Kevin Kozuszek

Seit 1999 bin ich Microsoft eng verbunden und habe in diesem Ökosystem meine digitale Heimat gefunden. Bei Dr. Windows halte ich euch seit November 2016 über alle Neuigkeiten auf dem Laufenden, die Microsoft bei seinen Open Source-Projekten und der Entwicklerplattform zu berichten hat. Regelmäßige News zu Mozilla und meinem digitalen Alltag sind auch dabei.

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